Drahtzieher - Knobels siebter Fall
Täter berührt wurde. Der Fall wird zunehmend rätselhafter, Herr Knobel. – Sprechen Sie bitte mit Frau van Eyck und veranlassen Sie sie, morgen gegen zehn Uhr in mein Büro zu kommen. Begleiten Sie Ihre Mandantin, wenn Sie es für richtig halten. Ich habe versucht, Ihre Mandantin zu erreichen. Es ist nur eine Mailbox dran. Ich habe sie gebeten, sofort zurückzurufen. Doch bis jetzt habe ich von ihr nichts gehört.«
»Was macht Wanninger?«, fragte Stephan.
»Wir suchen ihn dringend, nicht nur, weil wir die Beweisstücke brauchen, die er in Händen hat und mir nicht freiwillig geben wollte. Über Handy ist er nicht erreichbar. Ich habe seit Stunden versucht, ihn ans Handy zu bekommen. Er ging nicht ran. Also haben wir sein Handy orten lassen. Es liegt in seiner Wohnung, aber er ist nicht da. Da Wanninger im Besitz von Beweisstücken ist, die er nicht freiwillig rausgeben will, habe ich einen Durchsuchungsbeschluss nach § 103 der Strafprozessordnung erwirkt, um diese Gegenstände in seiner Wohnung zu beschlagnahmen. Aber die Sachen befinden sich dort nicht. Vermutlich hat er sie bei sich, ebenso seinen Laptop. Keine Ahnung, warum sein Handy in der Wohnung liegt. Ich habe mir das Gerät angesehen. Es gibt jede Menge Anrufe Wanningers bei Frau van Eyck und umgekehrt. Die beiden sind in regem Kontakt, Herr Knobel. Wussten Sie das? Alle Verbindungen sind noch gespeichert.«
»Ich weiß, dass sie miteinander Kontakt haben, aber ich weiß nicht, wie oft«, relativierte Stephan.
»In Wanningers Büro haben wir reichlich Material zu seinem Projekt ›Skandale und ihre Täter – gestern geächtet, heute geachtet‹ gefunden. Wissen Sie was darüber?«, fragte Ylberi.
»Nur, dass er dieses Projekt verfolgt«, antwortete Stephan. »Aber ich kenne davon nicht mehr als den Titel.«
»Er gräbt sich durch verschiedene Skandale der Vergangenheit«, erklärte Ylberi. »Es geht unter anderem um einen Chefarzt, der unter Alkoholeinfluss eine Operation versaut und dadurch einen Menschen in den Rollstuhl gebracht hat. Der Mann arbeitet heute unbehelligt in Günzburg in Süddeutschland als Internist. In einem zweiten Fall geht es um einen Vergewaltiger, der nach Verbüßung seiner Haftstrafe in Viersen sesshaft geworden und mittlerweile Mitglied des Kreistages ist. Das sind nur zwei Beispiele von vielen. Wanninger arbeitet all diese Geschichten auf und stellt die Personen an den Pranger, die den Schatten ihrer Vergangenheit abwerfen und irgendwo neu Fuß fassen konnten. Wir haben Recherchematerial zu mindestens 20 solcher Geschichten gefunden.«
»Er scheint es nötig zu haben«, meinte Stephan. »Von seinem Ruhm ist viel verloren gegangen. Wanninger will sich wieder in die Schlagzeilen kämpfen.«
»Eine Nachbarin hat ihn vor rund drei Stunden in festlichem Anzug weggehen sehen«, sagte Ylberi. »Sie haben nicht zufällig eine Ahnung …«
»Leider nein«, unterbrach Stephan.
Nach dem Telefonat mit Ylberi ließ Stephan die Neuigkeiten gedanklich Revue passieren. Schließlich rief er Anne van Eyck an. Zu seiner Überraschung erreichte er sie auf dem Handy.
Stephan erklärte ihr, dass der Staatsanwalt mit ihr sprechen wolle.
»Das geht nicht, Herr Knobel«, erwiderte sie. »Hermann und ich sind in Amsterdam. Sagen Sie ihm das bitte! Wir haben morgen einen dringenden geschäftlichen Termin. Den können wir nicht verschieben. Vielleicht klappt es übermorgen, wenn wir hier im Laufe des morgigen Tages fertig werden.«
»Es ist sehr dringend«, beharrte Stephan, ohne ihr mitzuteilen, was Ylberi herausgefunden hatte. Er spürte die zunehmende Distanz, die sich zwischen ihm und Anne van Eyck aufbaute. Das Vertrauen schwand, ohne dass er sich sicher war, ob und in welchem Umfang seine Mandantin ihn belog oder mit Fakten hinter dem Berg hielt. Es wäre richtig gewesen, sie damit zu konfrontieren, doch Stephan konnte ihr außer den sich aufdrängenden Ungereimtheiten nichts Greifbares vorwerfen. Es fehlte jedes erkennbare Motiv Anne van Eycks oder ihres Mannes, was ihr Handeln oder das Unterdrücken von Fakten erklärlich machte. Von Anne van Eyck war zu Beginn die Initiative ausgegangen. Sie war es, die Stephan dieses Mandat übertragen und gedrängt hatte, dass er sich eines Falles annehmen sollte, dessen Behandlung durch Polizei und Staatsanwaltschaft sie als unzureichend und oberflächlich empfunden hatte.
»Ich habe Ihnen heute übrigens einen Vorschuss überwiesen«, sagte sie. »Zunächst 2.000 Euro. Sie haben doch schon
Weitere Kostenlose Bücher