Drake (German Edition)
hatte sie aber zugegeben, dass sie nervös war und sich mit ihrer Frage ablenken wollte.
»Es liegt an der Dyson-Sphäre«, begann er vorsichtig. »Sie ist in gewaltigen Magnetfeldern gelagert, deswegen spüren wir nichts, noch nicht einmal die kleinste Vibration. Selbst in dem Moment nicht, wenn die ungeheure Gravitation in Zeit umgewandelt wird, die dann dem Schiff für Bruchteile von Sekunden den Durchgang ermöglicht.«
Er sah sie zweifelnd an, ob sie von seinen Ausführungen nicht gelangweilt war, aber sie blickte nur kurz auf ihre Uhr und suchte wieder nach einer Projektion.
Wahrscheinlich hörte sie gar nicht zu.
»Damals, als das Experiment mit der Dyson-Sphäre publik gemacht wurde, gab es einen wahren Aufstand in der Öffentlichkeit«, fuhr er ungerührt fort. »Man wollte solche ungewissen Versuche nicht auf der Erde vonstattengehen lassen. Die Gruppe der Wissenschaftler fand jedoch bereitwillige Investoren, die ihnen weit weg von der Erde auf dem Saturnmond Titan weitere Forschungen ermöglichte.« Er blickte wieder zu Caitlyn Mulholland hinüber, die nun regungslos am Geländer stand. Ihre Hände wirkten leicht verkrampft.
Er kam sich vor, als ob er einem Kind eine Gutenachtgeschichte erzählte.
»Die Erzeugung eines Grauen Loches war ein Nebeneffekt, den sie beinahe wie zufällig entdeckten. Es dauerte lange, bis ihnen klar wurde, was man damit anfangen konnte. Der griechische Erfinder Archimedes hatte einmal im dritten Jahrhundert gesagt: ›Gebt mir einen festen Punkt, einen genügend langen Hebel und ich werde die Welt aus den Angeln heben.‹ Na ja, MOSES erschafft zwar keinen festen Punkt, aber ich glaube, das, was man damit erreichen kann, kommt der Forderung von Archimedes sehr nahe.«
»Okay, genug. Ich kenne die Entwicklung der stellaren Raumfahrt zur Genüge. Erzählen Sie mir etwas von sich! Warum sind Sie hier auf dem Schiff? Haben Sie keine Angehörigen auf der Erde? Frau und Kind? Oder wenigstens einen Bruder oder eine Schwester?«
Ihre Aufforderungen kamen in schneller Folge, ohne Emotionen. Anscheinend entsprangen sie einem unbewussten Muster in ihrer Erinnerung. Die Fragen waren unbedeutend. Ganz abgesehen davon, mochte er darauf wetten, dass sie seine Akte genau kannte. Sie war in die Planung der Expedition mit eingebunden gewesen und wusste, wer auf dem Schiff war und warum.
Er beobachtete, wie ihre Hände das Geländer fester umfassten und wie sich ihre Finger zwischendurch aneinander rieben.
Sie hatte Angst. Natürlich.
Eine andere Gutenachtgeschichte also.
»Ich bin auf dem Schiff aus denselben Gründen wie jeder andere hier«, sagte er so ruhig wie möglich. Sie machte ihn allmählich nervös. »Auf der Suche nach einer neuen Welt. Mit neuen Bedingungen. Oder mit besseren Grundvoraussetzungen.« Seine Eltern kamen ihm in den Sinn. Beide lebten noch und waren überzeugte Anhänger der Neuen Göttlichen Schrift. Die religiösen Umsturzversuche hatten sie total verängstigt. Seit Jahren lebten sie zurückgezogen in den Ausläufern der Rocky Mountains in der kanadischen Provinz Alberta. Bei seinen seltenen Besuchen war Religion das Hauptthema. Er wusste nicht genau, inwieweit sie überhaupt registrierten, dass er da war. Obwohl er sich jedes Mal freute, sie zu sehen, wünschte er sich meistens schon nach zehn Minuten, so schnell wie möglich wieder abzureisen. »Eltern. Meine Eltern leben noch, aber ich habe selten Kontakt mit ihnen. Keine Geschwister, aber eine Frau und eine Tochter.« Er ließ den letzten Satz einfach so stehen, in der Hoffnung, dadurch etwas mehr Aufmerksamkeit zu erregen.
Tatsächlich hob sie den Kopf ein wenig und fragte: »Was ist mit Ihrer Frau?«
Na also, er hatte es doch gewusst. Sie fragte nicht nach Frau und Kind, sondern nach den Umständen. Jedenfalls interpretierte er das so. Sie wusste also genau, dass er verheiratet war.
»Das Übliche. Ich bin im Leben auf eine Weggabelung getroffen und da bin ich abgebogen. Wir sind aber nicht geschieden. Der Ehevertrag läuft demnach automatisch weiter. Seitdem lebt meine Frau von meiner finanziellen Unterstützung und hasst mich dafür. Meine Tochter hilft ihr dabei.«
»Und das Abbiegen? Hat es sich gelohnt?«
»Anfangs ja, später nein. Frauen haben manchmal eine andere Vorstellung vom Leben als Männer.«
Sie schien angesichts dieser nichtssagenden Information das Interesse zu verlieren und schaltete ihren Frame ein. So viel zum Anstand und unverschämten Fragen über das Privatleben.
Mit
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