Drake Schwestern 01-02 - Daemmerung des Herzens-06.07.12-OK
er auf seinen
Schultern. Damon hatte an der Last dieser Erscheinung so schwer zu tragen, dass
sie ihn beugte. Er stützte sich mit beiden Händen auf seinen Stock.
Ein eiskalter Schauer der Furcht rieselte Jonas
über den Rücken. Der schwarze Umriss legte sich ein Gesicht zu, einen
grinsenden Schädel mit straff gespannter Haut. Knochige Arme streckten sich
nach Damon aus. Jonas stellte sich instinktiv vor ihn. Er hörte, dass der
Sprechgesang an Lautstärke zunahm. Die Stimmen, die von der Brise zu ihnen
getragen wurden, waren jetzt viel klarer zu vernehmen. Der Himmel wurde blutrot
und das Dröhnen des Meeres nahm zu, als der Wind sich zu einem schrillen Schrei
erhob und in seinem Bemühen, sie von Damons Schultern zu vertreiben, an der
schwarzen Gestalt zerrte.
Eine große Last senkte sich auf Jonas herab und er
beobachtete den schwarzen Schatten auf der Felswand, der sich nach Kräften
streckte, um nicht nur Damon, sondern auch ihn vollständig einzuhüllen.
»Ich kann mich nicht von der Stelle rühren«, sagte
Damon. »Und mir ist kalt bis in die Knochen.« Er zog die Schultern hoch, weil
eine furchtbare Last ihn niederdrücken wollte, und mit einer Hand rieb er
geistesabwesend seine Brust, direkt über dem Herzen. »Was ist los mit mir?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Jonas grimmig. Aber er
fürchtete, dass er es nur zu gut wusste. Die Drake-Schwestern kämpften um
Damons Leben, und da er es gewagt hatte, sich zwischen Damon und diesen
Schatten zu stellen, kämpften sie nun auch um sein Leben. Er fühlte sich
hilflos, als er dastand und der Wind heftig um sein Gesicht peitschte. Er wagte
es nicht, sich von der Stelle zu rühren, denn er fürchtete, dann würde der
Schatten sich Damon holen. Die Klauen schienen gierig ausgestreckt zu sein und
der Kopf der Gestalt beugte sich über Damon, als versuchte sie, ihm den Atem zu
rauben.
Die Stimmen schwollen an – weibliche Stimmen,
kräftig und miteinander vereint. Es waren nicht nur die Stimmen der vier, die
am Strand standen, sondern auch die anderen drei Schwestern, die an fernen
Orten weilten, schlossen sich ihnen an, damit sie alle sieben eins werden
konnten. Jonas fühlte die Kraft, die in die Frauen strömte und die sie an ihn
weiterleiteten. Glitzernde bunte Pünktchen funkelten und sausten knisternd wie
kleine Feuerwerkskörper durch die Luft, um eine undurchdringliche Wand zwischen
den beiden Männern und der Erscheinung zu errichten.
Der Schatten zog sich schleunigst zurück und
achtete sorgsam darauf, den glühend heißen Lichtern auszuweichen. Jonas spürte,
wie die Last auf seinen Schultern leichter wurde. Damon nahm eine etwas aufrechtere
Haltung ein und die grauen Linien, die sich so tief in sein Gesicht gefurcht
hatten, verloren an Schärfe.
Jonas schnappte nach Luft, als er Finger spürte,
die seine Hand streiften. Er blickte hinunter und rechnete damit, jemanden zu
sehen, der neben ihm stand und seine Finger fest umklammert hielt. Er konnte es
ganz deutlich fühlen, einen festen Griff, ein entschlossenes Zupacken. Und doch
war dort niemand. Er stand allein da, während der Wind in sein Gesicht wehte
und sein Haar zerzauste, und er fühlte, dass jemand ihn eng an sich drückte,
ein Frauenkörper, der fest an ihn gepresst war. Alles Maskuline in ihm erhob
lautstark Protest. Eine der Drakes – sie fühlte sich wie Hannah an – hatte sich
schützend vor ihn geschoben und das war schlichtweg indiskutabel.
Inmitten des knisternden Feuerwerks konnte er die
Umrisse mehrerer Frauen mit langem, gelöstem Haar sehen, das um sie
herumflatterte. Sie hatten die Arme zum Himmel erhoben, körperlose Gestalten,
die in der Luft flimmerten als seien sie Geistererscheinungen und nicht aus
Fleisch und Blut. Hinter ihm fluchte Damon leise vor sich hin. Die Worte waren
unverständlich, aber auch Jonas nahm die real vorhandene Gefahr akut wahr.
Damon wollte sich ebenso wenig wie Jonas hinter den Frauen verstecken.
Jonas versuchte, sich von der Stelle zu rühren und
einen Schritt vorzutreten, sich einen Weg durch diese Wand aus glitzernden
Lichtern und transparenten Gestalten zu bahnen, um sich auf den kauernden
dunklen Umriss zu stürzen, der ganz langsam den Rückzug antrat, von den Frauen
vertrieben, die ihn von der Klippe fort und weit hinaus aufs offene Meer
drängten. Der leise Gesang war jetzt deutlich zu hören, kräftige Stimmen, die
sich harmonisch mit dem Wind und dem tosenden Meer verbanden und in seinem Kopf
eine eigentümliche Form von Musik
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