Dramen
werde es wohl niemals wissen! Ich glaubte, das Schrecklichste, was ein Mensch erleben kann – ich glaubte, das alles längst erlebt und hinter mir zu haben! Dieser Keulenschlag! Nein, ich war auf alles nur denkbar Mögliche gefaßt! Seit Jahren bin ich in jeder Minute, die ich atme, auf das Aller–Allerschrecklichs.e gefaßt! Aber diese… diese Keulenschläge! – Nein, ich weiß in diesem Augenblick nicht, ob ich überhaupt noch lebe!
Klara
Aber du, Else? Warum kommst denn du?
Else
Warum ich komme? Ich? Ich bringe dir das Geld für dein Billett, für deine Fahrkarte bis Antwerpen! Hast du denn deine Sachen gepackt?
Klara
Ich habe eine Tasche gepackt. Ich kann nichts anfassen! Ich kann nichts denken! Ich kann von hier nicht bis zu dem Schrank hinüber. Ich bin an Kopf und Händen gelähmt! Meine übrigen Sachen müssen mir nachgeschickt werden!
Else
sinkt in einen Sessel
Allmächtiger Gott, ich kann mir nicht vorstellen, wie ich das überlebe!
Klara
Else! – Ich wage dir nicht den kleinsten Schritt näher zu kommen. Ich…
(plötzlich von ihrem Gefühl überwältigt, wirft sie sich Else zu Füßen und umklammert ihre Kniee)
Else! Else! Kannst du mir denn vergeben? Kannst du mir verzeihen, Else? Ich bitte dich, Else, sag mir, daß du mir vergibst! Sag es mir, bitte! Du tust ein Werk der Barmherzigkeit, Else! Ich werde alles Entsetzliche, was mir bevorsteht, leichter ertragen können!
Else
ihr das Haar streichelnd
Du, Klara? – Du tust mir unsäglich leid. – Mehr sagen kann ich nicht. Du bist ja nicht die Erste.
(Richtet sie mühsam empor)
Aber was hilft uns das! Wo hast du denn deine Tasche?! Du mußt doch genügend Wäsche mitnehmen! Du weißt ja gar nicht, unter was für Menschen du bis morgen abend kommst!
Klara
Ich muß natürlich fort! Muß so rasch wie möglich fort! Das ist selbstverständlich. Aber muß ich denn notwendig heute abend schon reisen?
Else
Das fragst du mich, Klara? Wie soll ich das wissen?! Ich weiß von der ganzen Sache nichts, als was mir Josef vor zwei Stunden erzählt hat. Ich bin ja von seinen Worten noch ganz betäubt! Er sagte, der Verhaftsbefehl gegen dich sei heute nachmittag erlassen worden, und wenn man dich noch nicht abhole, dann wolle man dir nur die Möglichkeit geben, heute noch über die Grenze zu kommen.
Klara
Wenn ich hier bleibe, soll ich also morgen schon ins Gefängnis?! – O Gott im Himmel, wo hätte ich mir vor einem Jahr, als ich hierher kam, träumen lassen, daß mir solche Höllenqualen bevorständen!
Else
Ich habe mir – das kann ich bei allem, was heilig ist, schwören – bis vor zwei Stunden nichts von alledem träumen lassen! Ich habe Josef und dich seit einem Jahr, vor allem seit dem Tage, an dem du seine Privatschülerin wurdest, so angstvoll, so eifersüchtig beobachtet, wie nur eine Frau von meinen Erlebnissen zwei Menschen beobachten kann. Ich war ja das ganze Jahr hindurch auf gar nichts anderes gefaßt, als daß er ein Verhältnis mit dir anfangen werde! Ich bin aber offenbar ein Rindvieh, das man aus Gründen der öffentlichen Sicherheit totschlagen müßte! So überrascht hat mich noch in meinem Leben nichts wie die Eröffnungen, die mich jetzt in diesem entsetzlichen Augenblick zu dir hierherführen!
Klara
Else! – Ich kann dir genau erzählen, wie alles gekommen ist, und zwar gerade von dem Augenblick an, wo ich seine Privatschülerin wurde! Ich hätte mich nie in meinem Leben darauf einlassen dürfen, seine Privatschülerin zu werden! Aber ich bin fest überzeugt, daß du, die du ihn kennst und liebst, ihm verzeihen wirst. Ich allein bin ja einzig an allem schuld! Ich…
Else
Ich beschwöre dich hoch und teuer, Klara, erzähle mir nichts von euch! Ich habe nicht die Kraft, noch mehr zu hören, als was mir Josef erzählt hat! Ich wäre zum Speicher hinaufgerannt und hätte mich erhängt, wenn mich dein grauenvolles Elend nicht daran gehindert hätte! Josef sagt, du brauchest mindestens zweihundert Mark, sonst steckst du morgen im Gefängnis.
(Zwei Scheine aus ihrer Tasche nehmend)
Hier ist das Geld! Frag mich nicht, von wem ich es habe! Um es zu bekommen, habe ich vielleicht eine neue hirnlose Eselei begangen, die sich nie in diesem Leben wieder gutmachen läßt!
Klara
Der Himmel erbarme sich meiner, dann nehme ich dein Geld nicht! Ich habe Josef und dir durch meine verzweifelten Entschlüsse wahrhaftig schon Unglück genug gebracht! Lieber lasse ich mich morgen ins Gefängnis sperren!
Else
Was wird denn dann aber
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