Dramen
himmelschreiendste Ruchlosigkeit gehalten, dem Wink nicht blindlings zu folgen. Am gleichen Abend ging ich zum erstenmal zu dieser Frau Fischer. Nachdem sich ihre Giftmischerei dann glücklich bei mir bewährt hatte, da war das Eidgenössische Schützenfest in Glarus längst vorbei und ich, ich war so zerrüttet, so elend, daß ich ein Vierteljahr lang überhaupt an kein Singen mehr denken konnte! – – Else! Hast du angesichts meines fürchterlichen Jammers denn gar kein Wort der Vergebung, des Erbarmens für mich?!
Else
Es kommt jemand.
Klara
aufhorchend
Ja, weiß Gott, es ist jemand gekommen! Das wird Josef sein!
(Da es klopft)
Herein!
Zweite Szene
Josef Reißner, die Vorigen
Josef
hastig eintretend
Ja, was ich sagen wollte…
(Zu Else)
Hast du das Geld bekommen?
Else
Ich habe es Klara gegeben.
Josef
zu Klara
Du mußt mit dem Zuge acht Uhr fünfzig fahren. Du kannst auf dem Bahnhof noch etwas essen. Morgen früh um zehn Uhr bist du in Antwerpen. Ich war eben noch auf einen Sprung im Justizpalast. Das Urteil wird jedenfalls heute abend noch gefällt. Man sagt, die Frau Fischer werde mit zwei Jahren Gefängnis davonkommen. Das läßt darauf schließen, daß ihre Mitschuldigen vielleicht völlig straflos ausgehen werden. Aber trotzdem mußt du fort. Die Staatsanwaltschaft würde es als die gröbste Herausforderung auffassen, wenn du hier bliebst.
(Zu Else)
Ich traf Franz Lindekuh eben vor dem Justizpalast. Franz Lindekuh meinte, der Paragraph achthundertundzwölf sei überhaupt gar nicht zum Schutz des Kindes in das Strafgesetzbuch aufgenommen worden. Der Schutz des Kindes, meinte Franz Lindekuh, sei nur ein plumper Vorwand, durch den sich das Volksbewußtsein über den eigentlichen Zweck des Paragraphen achthundertundzwölf blauen Dunst vormache. Der eigentliche Zweck des Paragraphen achthundertundzwölf, meinte Franz Lindekuh, sei der, die Eingeweide des weiblichen Körpers als ein dem männlichen Unternehmungsgeist reserviertes Spekulationsgebiet strafrechtlich abzusperren. Übrigens hätte auch die Staatsanwaltschaft die Anklage gegen die Frau Fischer niemals erhoben, wenn die entlassene Magd der Frau Fischer nicht die schamlosesten Erpressungsversuche gemacht hätte. Die Frau Fischer hatte die Magd, wie sich jetzt herausstellt, aus dem einfachen Grunde entlassen, weil die Person sie bestohlen hatte. Sie hatte ihr die Hemden aus dem Wäscheschrank gestohlen, und dann noch einen Schmuck von ihrer Großmutter, dessen Wert die Frau Fischer auf siebentausend Mark angab. Die Magd drohte dann nach ihrer Entlassung zuerst der Frau Fischer selber mit Anzeige, und als die ihr nicht antwortete, schrieb sie direkt an die jetzige Frau Oberstallmeister, die ihr natürlich auch nicht antwortete. Darauf schrieb sie an deren Mann, den Oberstallmeister selbst – selbstredend auch ohne Erfolg. Und dann wandte sie sich an die Mutter der Dame, eine hochangesehene sechzigjährige Gräfin, die in diesen Fragen vollkommen die gleichen Überzeugungen hat wie Franz Lindekuh, und die seit Jahren in allen Frauenvereinen für eine Petition an den Reichstag um Abänderung des Strafgesetzbuches Propaganda macht. Diese Dame übergab nun die Zuschrift der entlassenen Magd der Frau Fischer kurzweg der Staatsanwaltschaft. Offenbar hatte die alte Gans in ihrem Idealismus gehofft, daß ihr Schwiegersohn, den sie wie die Sünde haßt, nun gezwungen sein werde, die Kastanien, die ihr seit Jahren so sehr am Herzen liegen, aus dem Feuer zu holen.
Else
sich erhebend
Ich bin jetzt hier in diesem Zimmer wohl überflüssig…
Josef
Ja, was ich noch sagen wollte, Else…
Else
Mir – Josef! – hast du hier in diesem Zimmer nichts mehr zu sagen. Das Geld, das du um fünf Uhr von mir verlangtest, habe ich Klara verschafft. Aber Klara hast du vor ihrer Abreise hier in diesem Zimmer wohl noch sehr vieles zu sagen. Und auch ich habe Klara hier in diesem Zimmer noch etwas zu sagen…
Klara
Mir, Else? – Ich nehme so unsagbar viel Unglück auf diese Fahrt mit – unglücklicher, als ich schon bin, kannst auch du, trotzdem du das größte Recht dazu hast, mich nicht mehr machen.
Else
von plötzlichem Grauen gepaßt
Nein, du barmherziger Himmel! Nein! Ich erbärmliches Unglücksgeschöpf! Ich weiß es ja, ich armselige Kreatur! Ich allein bin ja an eurem Verderben schuld, an unser aller Verderben! Könnte ich meinem Manne die Kurzweil bieten, die du ihm bietest! Könnte ich ihm sein, was du ihm bist! Ja ja, daß ich ihm das nicht sein
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