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Dramen

Titel: Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Wedekind
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aus Josef und mir, wenn du ins Gefängnis kommst?! Josef verliert seine sämtlichen Schülerinnen, er verliert seine Stelle an der Akademie! Josef und die Kinder und ich sind brotlos! Deine Abreise ist das einzige, was uns alle retten kann!
    Klara
das Geld nehmend
    Von wem hast du denn das Geld bekommen?
    Else
    Von Franz Lindekuh habe ich es. Ich wußte in meiner Angst nirgends anders hin! Ich erzählte ihm, es handle sich um einen Wechsel, den Josef unterschrieben habe. Dabei kam Franz Lindekuh selber auf den Prozeß zu sprechen. Er sagte, in der morgigen Sitzung werde das Urteil gefällt. Er fand es unbegreiflich, daß ich die Zeitungsberichte nicht kannte. Franz Lindekuh hatte aber jedenfalls noch keine Ahnung davon, daß du, Klara, in den Prozeß verwickelt bist.
    Klara
    Hattest du denn die Zeitungsberichte wirklich nicht gelesen?
    Else
    Aber natürlich habe ich sie gelesen! Das war ja heute nachmittag das unsagbar Schauerliche! Ich sitze eben beim Kaffee und lese die Zeitung. Seit vierzehn Tagen hat mich in dem elenden Blatt überhaupt nichts anderes als der Prozeß der Frau Fischer mehr interessiert. Eine Frau, die sich Damen aus allen Gesellschaftskreisen, die sich den Folgen ihrer Abenteuer entziehen möchten, gegen die ungeheuersten Bezahlungen gefällig erweist; wen auf Gottes Welt interessiert ein solcher Prozeß nicht! Ich lese eben den zwölften Verhandlungstag; ich freute mich gerade darüber, daß nun endlich einmal keine gesellschaftlichen Unterschiede mehr gelten sollten, sondern daß rücksichtslos alle Schuldigen bestraft wurden. Da tritt Josef ein, totenbleich, und sagt, er brauche sofort zweihundert Mark, sonst seien wir beide verloren. Ich lachte vor mich hin, ich fragte ihn, ob er zuviel getrunken habe. Da schrie er. »Du hast es ja schwarz auf weiß vor dir gedruckt, wofür ich das Geld brauche!« Da ging mir ein Licht auf, wie ich es vor meinem Tode nicht noch einmal aufflammen sehen möchte. Ich stürzte die Treppe hinunter, um, koste es, was es wolle, die zweihundert Mark aufzutreiben. Darüber sind zwei Stunden vergangen. Ich hätte dir das Geld für deine Flucht mit dem besten Willen nicht rascher verschaffen können.
    Klara
    Es läßt sich mit Worten nicht schildern, Else, was ich, während wir, Josef und du und ich, Abend für Abend beieinander saßen – was ich während dieser Abende an Folterqualen ausgestanden habe! Josef und ich, wir hatten einander kaum einmal die Hand gedrückt – es war ein Augenblick, in dem ich das Bewußtsein, einen eigenen Willen zu haben, vollständig verloren hatte –, da offenbarten sich mir auch schon die Folgen meiner Bewußtlosigkeit. Und nun saß ich mit euch beiden zusammen, saß dir, Else, Auge in Auge gegenüber, fühlte bei jedem Schluck, den du trankst, den Argwohn, mit dem du mich ins Auge faßtest, und mußte mir dabei gestehen, daß ich, deine Freundin, schlecht genug war, um dich durch mein Benehmen immer und immer wieder über den wirklichen Sachverhalt hinwegzutäuschen! Aus dieser grauenhaften Weinstube, in der wir so oft beieinander saßen, ist mir jedes Bild und jedes Licht und jedes Gesicht wie ein unaufhörlich bohrendes Messer in Erinnerung! Und dann kam das Fürchterlichste! Mir krampfen sich heute noch die Finger zusammen, wenn ich an die Stunden zurückdenke! Meine Mutter schrieb mir, der schweizerische Bundesrat habe einstimmig beschlossen, ich solle am Schützenfest in Glarus die Partie der Eva in der »Schöpfung« von Haydn singen. Ich erschien mir aus den Himmeln meiner glühenden begeisterten Liebe für meine Kunst wie durch einen unerschütterlichen Blitzstrahl auf die Erde genagelt! Die erste große Aufgabe, die sich mir bietet, mußte mich in dieser Lage finden! Meine Mutter telegraphierte mir. Wann kommst du? Wann darf ich dich erwarten? – Und ich… und ich… aber meine künstlerische Zukunft durfte und konnte an diesem unseligen Zusammentreffen nicht scheitern! Drei Tage und drei Nächte habe ich eingeschlossen in meinem Zimmer vor Verzweiflung in mich hineingeschrien und mir die Finger blutig gebissen, um durch den körperlichen Schmerz meine Seelenqualen zu betäuben. Da fiel mein Blick zufällig auf eine Zeitungsannonce, deren Abfassung gar keinen Zweifel darüber ließ, worauf sie sich bezog. Und diese Annonce stand so gebieterisch vor meiner gemarterten Seele, als wäre mein dreitägiges Jammern um Gnade und Erbarmen endlich, endlich von einem höheren Wesen erhört worden! Ich hätte es für die

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