Dramen
dieses Jahres am Konservatorium in meinen Musikstudien nicht vielleicht doch weitergekommen wäre? Ich will das nicht entscheiden. Ich weiß nur eines, was in diesem Augenblick unumstößlich feststeht: Weit ist es mit mir gekommen!
Josef
Klara, wir müssen jetzt gehen.
Klara
beginnt irre zu reden
Zu meiner Mutter, Josef? – Ja, Geliebter! Gehen wir doch zu meiner Mutter! Es ist ja so selbstverständlich, daß wir zu ihr gehen! Du bist ja doch mein Mann, Josef! Wird die eine Freude haben, meinen Mann kennen zu lernen.
(Ihn stürmisch umarmend)
Josef, Josef! Du bist mein Mann! Ich bin dein Weib, mein Geliebter! Bin ich es vielleicht nicht?! –
(schmeichelnd)
Komm, gehen wir zu meiner Mutter. Meine Mutter gibt uns ihren mütterlichen Segen, und dann fahren wir mit einem Schnelldampfer nach Amerika hinüber! Durch unserer Hände Arbeit, Josef, können wir in Amerika reich werden. Wir können uns das herrlichste Leben schaffen!
Josef
sucht sich loszumachen
Wir müssen fort, Klara! In einer halben Stunde fährt dein Zug!
Klara
Ja, ja – – ins Gefängnis.
Josef
Dein Zug nach Antwerpen. Es handelt sich um gar nichts weiter, als daß du hier in der nächsten Zeit nicht öffentlich gesehen wirst.
Klara
sinkt weinend in einen Sessel
In Tränen aufgelöst beschwor sie mich, mein Lebensglück nicht auf meinen unüberwindlichen Größenwahn zu setzen. Du, mein Kind, willst eine berühmte Sängerin werden. Du. Mit deinem Gesicht. Um eine berühmte Sängerin zu werden, rief sie, muß man andere Nerven haben, als du von deinen Eltern geerbt hast. Dazu gehört eine Pferdemagen, von dem wir uns in der Schweiz keine Vorstellung machen! Dazu muß man über Leichen gehen können! – Sie hatte recht! Sie hatte recht! Und ich in meinem hirnwütigen Größenwahn glaubte ihr nicht! Ich habe sie ausgelacht! Meiner lieben braven Mutter schenkte ich in meiner wahnwitzigen Selbstüberhebung keinen Glauben!
(Verzweifelt aufspringend)
Könnte ich Dirne jetzt wenigstens vor sie hintreten und sagen: Ja. Ich habe mich überschätzt! Du hattest recht, Mutter. Ich bin keine Sängerin! Ich bin zu spießbürgerlich, ich habe zuviel Ehrgefühl, um eine wirkliche Sängerin zu werden! Aber nicht einmal das kann ich! Fort in Nacht und Nebel! Fliehen muß ich! Über die Grenze muß ich! Meine Kunst, meine Mitschülerinnen, meine Freunde, alles muß ich fliehen! Und dich muß ich fliehen! Dich, Josef! Das ist das Entsetzlichste! Dich, dem ich mein ganzes Elend verdanke! Dich, den ich liebe, wie ich mir irgend etwas auf Erden lieben zu können niemals träumen ließ!
(Ihn umarmend)
Wie soll ich denn ohne dich, Josef, leben! Sage es mir, Josef, wie ich mir ohne dich helfe!
Josef
Klara, es ist jetzt höchste Zeit! Der Zug wartet nicht auf uns!
Klara
von ihm ablassend
Sie sagte: »Du kannst dich auf einen Wettkampf mit den abgefeimtesten internationalen Abenteuerinnen nicht einlassen, ohne dabei deine Ehre aufs Spiel zu setzen…«
Josef
die Reisetasche vom Tisch nehmend
Ich trage dein Gepäck hinunter. Deine Fahrkarte nach Antwerpen habe ich in der Tasche.
Klara
ihm folgend
Wenn die eine Ahnung hätte, worauf ich mich habe einlassen müssen.
(Beide ab)
Zweites Bild
Hinter Schwedischen Gardinen
Szenerie
Eine graugetünchte Gefängniszelle. In der vom Zuschauer aus linken Wand die eisenbeschlagene Türe, mit Guckloch und Klappe zum Hinausreichen des Speisenapfes. In der rechten Seitenwand ein kleines, sehr hoch angebrachtes stark vergittertes Fenster. An der Rückwand von links nach rechts zuerst ein schlichter, an der Wand befestigter Tisch, der hinaufgeklappt werden kann. Daneben eine ebenso eingerichtete primitive Bank ohne Lehne. Neben der Bank steht eine braune, irdene Schale am Boden und darinnen ein brauner, irdener Wasserkrug. Darüber an der Wand ein kleines Regal, worauf eine Bibel, ein Speisenapf, ein eiserner Löffel, eine Salzbüchse, ein Kamm und ein Ende Zwirnsfaden liegen. Neben dem Regal hängt ein Handtuch. Mehr dem Fenster zu ist an der Rückwand das hinaufgeklappte und an die Mauer festgeschlossene Bett angebracht, bestehend aus einer Pritsche und einer grauleinenen Matratze. Über dem Bett hängt die gedruckte Gefängnisordnung mit den sieben Disziplinarstrafen
Personen
Klara Hühnerwadel
Josef Reißner
Else Reißner
Der Gefängnisdirektor
Ein Aufseher im Gefängnis
Eine Aufseherin im Gefängnis
Erste Szene
Klara sitzt in blau und weiß gestreifter Sträflingskleidung, bestehend aus Rock und Jacke,
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