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Dramen

Titel: Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Wedekind
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Man sitzt vor Ihrer Kunst wie das kaiserliche Rom vor Gladiatorenkämpfen und Christenverfolgungen! Raubtierhetzen sind der Gipfelpunkt dessen, was Sie Kunst nennen! Ihre Kunst ist die fürchterlichste Gotteslästerung, die seit Jahrtausenden von einem Menschengehirn ersonnen wurde!
    Buridan
im Klubsessel
    Gotteslästerung! – Ich habe mein halbes Leben lang ohne Kunst gelebt. Ohne Religion könnte ich nicht eine Minute leben.
    Dr. Prantl
    Stammt denn vielleicht das Wort von der Wiedervereinigung von Kirche und Freudenhaus im sozialistischen Zukunftsstaat nicht von Ihnen?! Ist das etwa keine Gotteslästerung?!
    Buridan
    Dieses Wort, Herr Doktor, ist nicht von mir!
(Aufspringend)
: Dieses Wort habe ich nie geschrieben! Dies Wort habe ich niemals ausgesprochen! Auf welche Weise kann ich Sie so rasch wie möglich von dieser Tatsache überzeugen?! Lassen Sie meine sämtlichen Schriften vom ersten bis zum letzten Buchstaben durchsuchen. Sie stoßen nirgends auf dieses Wort. Ebensowenig finden Sie irgendeinen Zeugen, der das Wort jemals aus meinem Munde gehört hat. Das Wort ist eine der zahllosen Verleumdungen, die die Zeitungsrezensenten erfanden, um mich auf einige Jahre ins Gefängnis zu bringen! – Um wie viel leidenschaftlicher, um wie viel ehrfurchtsvoller ich dem Widerstreit zwischen Geistesgewalt und Weltlust gegenüberstehe, das beweist Ihnen meine » Anleitung zur Überwindung der Todesschauer «.
(Er nimmt ein Buch vom Büchergestell, schlägt eine Seite auf und überreicht es Dr. Prantl.)
Ich bitte Hochwürden inständig darum, nur die ersten zehn Seiten dieser Anleitung lesen zu wollen.
    Dr. Prantl
liest laut, langsam und aufmerksam
    Die Furcht vor dem Tode ist ein Denkfehler. – Viele Leiden sind schmerzlicher als Sterben. – Alles Leiden ist schmerzlicher als der Tod. – Fürchten wir uns nur, geboren zu werden! – Jeder bringt seinen ärgsten Feind mit zur Welt. – Mit klaffenden Wunden bekämpfen wir ihn unser halbes Leben lang, und hoffen wir endlich, ihn zu Boden geworfen zu haben, – dann…
    Derweil ist Kadidja, in ein beliebiges geschmackvolles Phantasiekostüm gekleidet, durch die Seitentür eingetreten. Sie hat die Lauftrommel hinter dem Wandschirm vorgeholt, ist darauf gestiegen und rollt sie unter ihren Füßen nach vorn. Sie fürchtet zu fallen und stützt sich auf das Wort»dann« einen Augenblick flüchtig auf die Schultern Dr. Prantls.
    Kadidja
    Ach, entschuldigen Sie bitte!
    Dr. Prantl wendet sich rasch nach ihr um, hebt im ersten Erstaunen die Hände zum Herzen, faßt sich aber rasch und betrachtet Kadidja mit ruhigem Lächeln.
    Kadidja
rollt die Trommel unter ihren Füßen einige Schritte rückwärts
    Verzeihen Sie, daß ich Sie erschreckt habe.
    Dr. Prantl
legt lächelnd das Buch beiseite
    Da ist er ja schon – der Feind! der Versucher! – die Schlange des Paradieses! –
(Zu Buridan)
: Wollen Sie auch jetzt noch behaupten, daß jenes Wort nicht von Ihnen stammt? –
(Kadidja betrachtend)
: Die Erscheinung ist echt! – – Fürchten Sie nichts, mein Kind. Es kommt mir gar nicht in den Sinn, Sie herabwürdigen zu wollen. Ich habe es hier nur mit diesem Herrn zu tun, der es versucht hat, uns ein inniges Verlangen nach den Segnungen der Kirche vorzuspiegeln, in der Hoffnung, wir würden ihm daraufhin die öffentliche Aufführung seiner – fragwürdigen Theaterstücke gestatten.
(Zu Buridan sehr ruhig)
: Sie werden sich schlechterdings damit abfinden müssen, daß wir für so – abenteuerliche Tauschgeschäfte nicht zu haben sind. Wir lassen uns nicht verführen. Am allerwenigsten aber sind wir durch zauberhafte Gaukelspielereien zu erschüttern, die Ihre mittelalterliche Menschenkenntnis offenbar ausgebrütet hat, um in den Bekämpfern Ihres verderblichen Treibens die niedrigsten Begierden wachzurufen.
    Buridan
    Ich muß Ew. Hochwürden aufs demütigste um Nachsicht bitten. Durch zwei Worte, die Sie mir gütigst gestatten wollen, ist die unvorhergesehene Störung unseres Gespräches aufgeklärt.
    Kadidja
    Soll ich die Herren allein lassen?
    Dr. Prantl
    Bleiben Sie nur, mein Kind.
(Zu Buridan)
: Eine unvorhergesehene Störung nennen Sie das? – Geben Sie Ihre wirkungslosen Verstellungskünste doch endlich auf. Diese zauberhafte Märchenerscheinung legte ihre weißen Hände in demselben Augenblick auf meine Schultern, als ich aus Ihrem Buche die von Ihnen dazu verfaßte Beschwörungsformel abgelesen hatte!
(Kadidja musternd)
: Zu dieser Gegenüberstellung also locken Sie

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