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Dramen

Titel: Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Wedekind
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zurückgeben!
(Da ihr Buridan entgegen will, hebt sie die rechte Hand empor und lehnt sich weit nach rückwärts.)
Ein Schritt noch und ich lasse die Brüstung los!
    Buridan
heulend
    Innigstgeliebtes, teuerstes Geschöpf! Geliebteste Kadidja! – Bleib doch! Bleib! – Alles, alles ist dein Eigen!
    Kadidja
hat sich so weit hinabgelassen, daß nur noch ihr Kopf über der Brüstung zu sehen ist
    Ich gebe dir deine Freiheit zurück! – Komm nicht näher, glücklicher Buridan! Sonst bist du Mörder!
    Der Kopf verschwindet. Man sieht noch die Hände, mit denen sie sich festhält.
    Buridan
ist in die Knie gebrochen, ringt die Hände ineinander und betete ohne noch einen Blick nach dem Balkon zu werfen
    Herr! Herr! Vater des Himmels und der Erde! Hilf uns! Hilf mir! Hilf! Wenn sie hinabfährt, ist ein Menschenleben hin! Welch ein Menschenleben! Ich habe gespottet! Herr im Himmel, ist das die Rache?! Sei barmherzig, Vater im Himmel! Du allein kannst helfen! Ich will dir dienen und deine Macht verkünden, solange ich lebe! – Hilf meiner armen Kadidja! Sie ist das herrlichste Geschöpf, die größte Seele, die in deiner Schöpfung lebt…
    Kadidja
hebt noch einmal den Kopf über die Brüstung
    Soll ich Schwester Scharolta von dir grüßen…?
(Sie wirft die Hände in die Luft zurück und verschwindet.)
    Buridan
der nicht hingesehn hat
    Oh! Oh! – Das ist ihre Stimme! – Herr Gott im Himmel, ich flehe dich an! Soll ich aufspringen?! Werd' ich noch ihre Hand fassen?! – Kadidja! – Geliebte! – –
(Er horcht nach rückwärts und ruft mit röchelnder Stimme)
Kadidja…! Kadidja…!
(Nach einer Pause sich in Krämpfen vornüberwerfend)
: Er läßt seiner nicht spotten! – Er läßt sich nicht versuchen! – O Gott! – O Gott, wie unergründlich bist du…
     
    Vorhang.

Erster Akt
Erstes Bild
Erste Szene
    Dämmerung im Zimmer, zur Seite weit offenes Fenster. Heller Abendhimmel.
    MUTTER.
    Sonderbar! Das Städtchen liegt schon im tiefsten Dunkel, und bei uns hier im Zimmer ist noch jeder Winkel hell.
    FRANZISKA.
    Das kommt vom Abendhimmel. Das hellgrüne Licht über den Bergen reicht nicht viel höher hinauf, als wir beide hier stehen. Bei uns oben auf dem Schloß müssen die Zimmer am Abend doch noch heller gewesen sein.
    MUTTER.
    Das ist wahr. Erinnerst du dich noch, wie wundervoll es aussah, wenn nachts ein Gewitter losbrach? Dann schienen die Bilder, die am höchsten hingen, plötzlich die farbigsten zu sein. Aber du hörst gar nicht, was ich sage.
    FRANZISKA.
    Doch, doch, ich höre. Die Blitze leuchteten vom Sorizont aus in die Zimmer hinein.
    MUTTER.
    Du denkst natürlich an deinen Geliebten. Er kommt heute wohl noch?
    FRANZISKA.
    Möglich. Ich habe ihn nicht dazu aufgefordert.
    MUTTER.
    Mir ist es nicht klar, wie dein Schicksal werden soll. Aber du gehst ja deine eigenen Wege.
    FRANZISKA.
    Ich denke im Gegenteil an euch. Mir ist es immer noch unbegreiflich, wie euer Zusammensein überhaupt möglich war.
    MUTTER.
    Mir scheint es jetzt manchmal, als hätte ich drei ganz verschiedene Leben hinter mir. Als wäre ich dreimal immer wieder ganz jemand anders gewesen.
    FRANZISKA.
    Aber daß ihr euch nicht ein einziges Mal gesagt habt, daß ihr eure Lebenskraft zu etwas Schönerem verwenden könnt, als einander jeden dritten Tag wie Mordbrüder an die Gurgel zu fahren.
    MUTTER.
    So schlimm war es doch eigentlich gar nicht.
    FRANZISKA.
    Eure Schimpfreden möchte ich niemals aussprechen und von niemandem hören.
    MUTTER.
    Daran ist deine Verweichlichung schuld. Wenn man den Tag verschläft und die Nacht zum Tag macht, dann kennt man die Welt nicht. Wären wir so empfindlich gewesen wie du, dann hätten wir uns schon in Brasilien getrennt. Dann hätte ich dich gar nicht geboren und brauchte mich jetzt von dir nicht zur Rechenschaft ziehen zu lassen.
    FRANZISKA.
    Dann hätte ich aber doch vielleicht einen anderen Vater oder eine andere Mutter bekommen.
    MUTTER.
    Das würdest du natürlich als einen großen Vorzug betrachten.
    FRANZISKA.
    Wie soll ich das wissen?
    MUTTER.
    Unser Papa war ein bedeutender Mensch. Du kannst das gar nicht beurteilen. Aber für ein Gespräch über Herzenssachen war er nie zu haben. Er wurde sofort mißtrauisch, als wollte man ihm den Boden unter den Füßen wegziehen. Er hatte seine Grundsätze, an denen niemand auf Gottes Welt etwas bemängeln konnte. Sättest du nur wenigstens seine Grundsätze geerbt. Dann ständest du jetzt anders vor mir. Dein Gemütsleben ist ja leider genau so arm, wie

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