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Dramen

Titel: Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Wedekind
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wie es dir irgendwie möglich ist. Aber der Schaustellung müssen ebenso viele höchste menschliche Werte das Gleichgewicht halten!
    Kadidja
    Trifft das bei mir nicht zu?
    Buridan
stellt die Lauftrommel auf die Stirnseite
    Stell' dich auf dieses Piedestal! Dann werde ich dein Zensor sein!
    Kadidja
    Mein Zensor willst du sein? – Aber ich bin doch kein Trauerspiel!
    Buridan
    Ich werde keine strengere Zensur an dir üben, als wie ich sie seit Jahren täglich, stündlich über mich ergehen lassen muß. So Gott will, findest du meine Zensur ebenso unbillig, ebenso willkürlich, wie ich die Zensur meiner Zensoren finde?
    Kadidja
auf die Lauftrommel steigend
    Bitte! Sprich!
    Buridan
    Kadidja! Wenn du über die Straße gehst, dann besteht der Zensor darauf, daß du ein langes Kleid trägst. Dir droht keine Lebensgefahr; deshalb hindert er dich, das Leben anderer zu gefährden. Wenn du aber im Zirkus als Kunstreiterin reitest und nicht vom Pferde stürzest, ohne deine Glieder zu brechen, dann gestattet dir der Zensor gern, mit allen Reizen deines Körpers zu wirken. Und wenn du auf dem hohen Turmseil von Kirchturmspitze zu Kirchturmspitze hinübertänzelst, dann fragt kein Zensor mehr, wie du dich dazu herausputzst. Du kannst dir eine Spinnwebe über den nackten Leib spannen. Man weiß, daß du keinen Fehltritt tust, ohne unten auf dem Marktplatz als unerkennbares häßliches Etwas ins Rinnsal hinabgefegt zu werden.
    Kadidja
lächelnd
    Sind die anderen Zensoren ebenso eifrige Bilderstürmer wie du?
    Buridan
    Kadidja! In Palermo sah ich einmal eine Seiltänzerin. Aber die Tänzerin tanzte auf einem elastischen Seil. Mitten unter dem Seil war ein viereckiges Brett mit aufrechtstehenden fußhohen blitzenden Messern aufgestellt. Über diesen Messern tanzend, entkleidete sich das Mädchen, indem es sich dabei nach rechts und links um sich selber drehte. Darauf setzte sie das Seil in schaukelnde Bewegung, kniete auf dem schaukelnden Seil nieder, trieb es rascher und rascher an, daß es unter ihren Knien wie eine Bogensehne schwirrte; und als es wieder in ruhiger Lage war, sprang sie auf die Füße, überschlug ihren Körper dreimal hoch in der Luft und stand dann ebenso harmlos ruhig lächelnd über den blitzenden Messern auf dem elastischen Seil, wie – wie du hier vor mir stehst.
    Kadidja
    Nun? Und? – Du fürchtest wirklich ernstlich, ich könnte des Hochzeitsgewandes, das ich trage, nicht würdig sein?
    Buridan
keuchend, mit geschlossenen Augen
    Darauf ließ sie sich einen langen Mantel heraufreichen, in den sie sich bis auf die Fußspitzen einhüllte, ging mit geschlossenen Augen zum Ende des Seiles hin, stieg herab und verschwand hinter dem Vorhang.
(Die Fassung verlierend)
: Kadidja, deine Eitelkeit ist mir eine Folterqual. Zieh ein Reformkleid an, Kadidja! Zieh ein Reformkleid an! Ich verdurste nach Geschmacklosigkeit, nach unergründlicher Seelentiefe, in der ich mich vor allem, was Sinnlichkeit ist, verkriechen kann! Hast du denn kein Erbarmen mit dir, wenn all die Herrlichkeit so wenig mehr wirkt wie ein buntes Taschentuch, das an einem Spazierstock flattert?!
    Kadidja
sehr ruhig
    Habe ich mich geschaffen?
    Buridan
    Ich habe dich nach meinem Belieben geschaffen, ich werde dich nach meinem Belieben umschaffen!
    Kadidja
sehr ruhig
    . Rühr' mich nicht an!
    Buridan
droht, handgreiflich zu werden
    Häßlichkeit will ich vor Augen haben! Häßlichkeit! Nichts als Häßlichkeit!
    Kadidja
sich freimachend
    Ich lasse mich nicht entwürdigen!
    Sie ist rasch auf den Balkon hinausgeeilt und lehnt sich mit dem Rücken gegen die Brüstung.
    Buridan
aufschreiend
    Kadidja!
    Kadidja
setzt sich auf die Brüstung und schlägt das eine Bein hinüber
    Wenn du mir einen Schritt nahe kommst, werfe ich mich außen hinab!
    Buridan
keuchend
    Ich bin zur Besinnung gekommen, Kadidja! Es war ein Tobsuchtsanfall. Ich hatte einen Augenblick vollständig vergessen, wer du bist.
    Kadidja
aufrecht auf der Brüstung stehend
    Nicht einen Schritt – sonst lieg' ich unten!
    Buridan
winselnd
    Komm herein! Kadidja! Komm herein!
    Kadidja
    Du liebst mich ja doch nicht mehr. Und ich kann ohne dich nicht leben.
    Buridan
    Komm zu mir herein! Wie soll ich dich denn nicht lieben! Ich will ja mein ganzes Leben dein Sklave sein!
    Kadidja
ist außen hinabgestiegen und hält sich am innern Rand der Brüstung mit den Händen fest
    Nicht einen Schritt! – Ich habe dich mit deiner Gedankenwelt verfeindet; ich werde dich deiner Gedankenwelt

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