Dramen
geschlossene Glasschale tragend, tritt aus dem Wald. Ihr zur Seite geht ein Kind mit nackten Armen und Beinen.
DAS KIND.
Warum bist du so traurig?
FRANZISKA.
Weil ich schwer
An dieser kleinen Last zu tragen habe.
Wie oft schon wünscht' ich mir die Schale leer.
Statt dessen birgt sie von der seltnen Labe
Tagtäglich einen winz'gen Tropfen mehr. –
Auf dieses Brunnens Rand will ich mich setzen,
Mich etwas auszuruhn. Du kannst derweil
Im Gras mit Blumenpflücken dich ergötzen.
Nie ward als Kind mir solch ein Glück zuteil.
DAS KIND.
Von wem hast du den Kranz in deinem Haar?
FRANZISKA
danach tastend.
Den Blumenkranz? – Den hatt' ich fast vergessen.
Ich weiß nicht, wer ihn mir ins Haar gedrückt.
Nie sah ich mich bekränzt. Ob er mich schmückt,
Läßt sich wohl aus dem Spiegel nur ermessen
DAS KIND
taucht die Hand in den Brunnen.
Das Wasser ist so still, so rein, so klar,
Daß man den blauen Himmel drin erblickt.
FRANZISKA
beugt sich über den Brunnen.
Ich seh' mein Bild und bin von ihm entzückt.
Wie kommt es, daß ich in den schönsten Jahren
An Leid soviel, an Freude nichts erfahren?
Das Wasser wallt empor. Ein heller Schein
Taucht nah und näher aus der tiefsten Tiefe.
Kein Wunder, wenn der Brunnen überliefe.
Was mag das für ein Zauberwesen sein?
Gislind, nur mit einem weißen Schleier um die Hüften bekleidet, taucht aus dem Brunnen.
GISLIND.
Was führt, geliebte Schwester, dich zu mir?
Aus luft'gen Höhen hört' ich deine Stimme
Und eilte, daß ich dir entgegenschwimme.
Wem bringst du die kristallne Schale hier?
FRANZISKA.
Den Menschen bring' ich diesen heiligen Trank.
An seiner Glut erquicken sich Millionen,
Die meine Mühe nur mit Undank lohnen.
GISLIND
sich auf den Brunnenrand setzend.
Mir ward für meine Fröhlichkeit ihr Dank
In reichstem Maß zuteil. Auch eine Schale
Mit schimmernd bunten Farben wunderbar
Geziert wie deine, brachten sie mir dar.
Wir tranken draus bei manchem lust'gen Mahle.
Stets schwimmt sie obenauf. Sie wiegt so leicht!
Wer weiß, ob sie nicht gleich mein Arm erreicht.
Sie taucht den Arm in den Brunnen und hebt eine flache Kristallschale heraus.
FRANZISKA.
Du Glückliche, zeig' mir die Schale her!
Beneidenswerte Schwester! Sie ist leer!
Sie stellt die Schale neben Gislind auf den Brunnenrand.
GISLIND.
Dafür lang' ich mir aus der Flut ein Feuer,
Das nie in deiner vollen Schale glüht!
Sie nimmt eine rauchende Kapsel aus dem Brunnen und hält sie in ihrer Rechten hoch.
DAS KIND
kniet vor Gislind anbetend nieder.
Dich hab' ich lieb!
GISLIND.
Wer ist der kleine Schreier,
Der unerwartet mir zu Füßen kniet?
FRANZISKA.
Ich glaube gar, mir will er untreu werden.
DAS KIND
zu Gislind.
So schön wie du ist niemand sonst auf Erden!
Ein zweiköpfiger, vierfüßiger Drache stürmt bellend und grunzend aus dem Wald und stellt sich mitten vor den Brunnen. Er hat einen Hundekopf und einen Schweinekopf. Die Tiermasken lassen die Gesichter völlig frei, so daß die Deutlichkeit der Sprache durch nichts beeinträchtigt ist. Franziska flieht nach rechts. Gislind flieht mit dem Kinde nach links.
GISLIND.
Wie kommt der Drache in den heiligen Hain?
FRANZISKA.
Den Drachen halt' ich für ein Löwenschwein.
Mich zu verschlingen, gähnt sein schwarzer Schlund.
GISLIND.
Der Drache, scheint mir, ist ein Schlangenhund.
Mit gift'gem Geifer dringt er auf mich ein!
DAS KIND.
Ist nicht der Drache nur ein Hundeschwein?
DER HUNDEKOPF
bellt, darauf zu Franziska.
Unzucht, Laster, Ketzerei
Schleppst du im Gefäß herbei,
Um die Tugend zu vergiften,
Zu Verbrechen anzustiften,
Sie um Scham und Ehr' zu bringen –
Wart'! Nun werd' ich dich verschlingen!
FRANZISKA.
Was karg sich in die Schale mir ergossen,
Ist heilige Wahrheit, ewig dir verschlossen!
DER SCHWEINEKOPF
grunzt, darauf zu Gislind.
Unzucht, Laster, Völlerei
Führst du schamentblößt herbei!
Um die Jugend zu vergiften,
Zu Verbrechen anzustiften,
Zwingst du sie, dich anzubeten.
Wart'! Jetzt werd' ich dich zertreten!
GISLIND.
Du drohst mit Taten, die du nie vollendest.
Die heilige Nacktheit stirbt, eh' du sie schändest.
DER HUNDEKOPF
bellt, darauf zu Franziska.
Ich verlier' ob der Gewinnung
Deiner Wahrheit die Besinnung!
Durch den Trug der teufelsklugen
Wahrheit geh' ich aus den Fugen!
Wahrheit raubt mir den Verstand,
Bringt mich außer Rand und Band!
Wenn du auch die Schuld bekennst,
Bist du doch dem Heil verloren,
Hast den Herrgott abgeschworen,
Weil du
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