Dramen
aus Furcht, in Ungnade zu fallen.
GISLIND.
Mir sagen sie es am liebsten dann, wenn ich mich nicht verteidigen kann. Deshalb habe ich Angst vor dem Festspiel. Wenn ich mich vor hundert Menschen ohne Kostüm zeige, und dann fällt ein plumper Witz über meine Geisteslosigkeit …
HERZOG.
Das wagt niemand.
GISLIND.
Ich habe auch meinen Stolz. Ich weiß nicht, was ich dann täte. Ich glaube, ich stürbe auf der Stelle vor Scham.
HERZOG.
Heute abend um zehn also. Ich muß mir jetzt Vortrag halten lassen.
GISLIND.
Darf ich nicht zuhören?
HERZOG.
Heute nicht.
GISLIND.
Wen erwartest du?
HERZOG.
Einen Geist.
GISLIND.
Gibt es denn das? Dann laß mich bleiben. Ich habe noch nie einen gesehen.
HERZOG.
Ich habe kein Geheimnis vor dir, mein Kind. Aber der Geist redet in deiner Gegenwart nicht.
GISLIND.
Geliebter! Deinetwegen haben sich meine Geschwister von mir losgesagt. Deinetwegen sehe ich fast seit einem Jahre keine menschliche Seele mehr. Du nennst mich »Gislind Glonnthal, schöne Sache«. Mehr bin ich dir nicht.
HERZOG.
Für mich ist es das Höchste. – Denk' dir doch nur meine mimosenhafte Empfindlichkeit in fünfjähriger Ehe mit einer Stimmungsmörderin, in deren Vaterhaus der Familienzank als unerläßlichste Gemütsgymnastik gepflegt wurde. – Es gibt eben Menschen, denen der Appetit leichter verdorben wird als anderen. Bin ich deshalb ein entarteter Schwächling?
GISLIND.
Du und entartet?! – Wenn nur ich nicht entartet bin. Ich frage mich oft, ob ich meinen Schwachsinn nicht als Kind schon selber verschuldet habe.
HERZOG.
Dir tut es not, wieder einmal unter vergnügte Menschen zu kommen.
GISLIND.
Ich freue mich auch darauf. Aber ohne Kostüm! Man ist so entsetzlich hilflos! Deshalb … Hast du noch einen Augenblick Zeit?
HERZOG.
Noch zwei, wenn du befiehlst?
GISLIND.
Nein, es muß nicht sein. – Ich habe nur dich, alles bist du mir: Elternhaus! Glück! Stolz! Wenn ich denke, wie – wie nichtig wenig ich dir bedeute. – Rann's gar nicht denken. Bin zu dumm.
Der Herzog leitet Gislind hinaus.
Zweite Szene
Der Herzog, dann Franziska.
HERZOG
kommt zurück und sieht nach der Uhr.
Halb zehn. Der Dämon muß da sein.
(Er nimmt Platz und dreht die Lampe aus.)
Meiner Seele Sehnsucht! – Komm! –
Im Hintergrund steht Franziska hell erleuchtet auf einem Säulenstumpf. Sie trägt eine hochgeschlossene, einreihig zugeknöpfte, bis zur Mitte der Hüfte reichende Jacke und Kniehosen, beides aus leichtem weinroten Stoff Dazu gepudertes Haar mit Dreispitz, breite weiße Halskrause, weiße Rüschen an den Handgelenken, außen an den Knien silberne Kokarden, hellgraue Strümpfe und schwarze Schuhe mit roten Absätzen und sehr breiten hellblauen Schleifen. Das Kabinett liegt vollständig im Dunkeln, so daß der Herzog kaum zu sehen ist.
HERZOG.
Was bist du?
FRANZISKA
bescheiden.
Ich bin deiner Seele Sehnsucht.
HERZOG.
Du bist kein Mann?
FRANZISKA.
Nein.
HERZOG.
Bist du ein Weib?
FRANZISKA.
Nein.
HERZOG.
Ich lasse mir keine Märchen erzählen.
FRANZISKA.
Wer es zu fassen vermag, fass' es.
HERZOG.
Als was bist du geboren?
FRANZISKA.
Als Knabe.
HERZOG.
Und bist kein Knabe?
FRANZISKA.
Nein.
HERZOG.
Warum nicht?
FRANZISKA.
Um des Reiches der Himmel willen.
HERZOG.
Was heißt das?
FRANZISKA.
Um unserer Wunschlosigkeit willen.
HERZOG.
Wer tat das?
FRANZISKA.
Heiß mich nicht reden!
HERZOG.
Kennst du die Verse?
FRANZISKA.
Ein Schwur drückt mir die Lippen zu.
HERZOG.
Wo kommst du her?
FRANZISKA.
Von den Gottmenschen. Aus dem Reiche Seliwanows.
HERZOG.
Ich frage dich, wo du geboren bist?
FRANZISKA.
In Bukarest in Rumänien.
HERZOG.
Ich glaube dir kein Wort.
FRANZISKA.
Du wirst mir glauben.
HERZOG.
Aber ich will dich auch nicht entlarven.
FRANZISKA.
Ich bringe dir unsere Geheime Heilige Schrift.
HERZOG
für sich.
Wunschlosigkeit! Friedliches Ausruhen zwischen männlicher Rauflust und weiblicher Glückswut! Anmutige Augenweide, die zu keinerlei Wahnsinn aufreizt!
(Zu Franziska.)
Was lehrt eure Geheime Heilige Schrift über den Unterschied zwischen Eigennutz und Nächstenliebe?
FRANZISKA.
Für die Wunschlosen gibt es keinen Unterschied zwischen Eigennutz und Nächstenliebe.
HERZOG.
Leider bin ich nicht wunschlos. Aber den Unterschied gibt es für mich auch nicht. Ich kann unmöglich eigennützig sein, ohne daß andere die glänzendsten Geschäfte dabei machen. Ich kann unmöglich selbstlos sein, ohne selber den größten Gewinn davon zu
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