Dramocles
mehr aufzutreiben«, sagte Dramokles, und voller Erwartung begann seine Nase ein wenig zu laufen. Er kniete sich vor den Altar; in seiner Sportjacke aus Hermelin war er eine imposante Figur. Er plazierte ein Ende des Knochenröhrchens in seinem Nasenloch und brachte das andere Ende ganz nah an das weiße Pulver. Dann schnupfte er vier königliche Portionen. Seine Augen wurden rund, und ein breites Lächeln erschien auf seinem Gesicht, während er den goldenen Spiegel an Drusilla weiterreichte.
Auch sie nahm von der kristallinen Substanz. Dann wandte sich Drusilla dem dritten Kästchen zu. Sie öffnete es und entnahm ihm fünf getrocknete Pilze, die aus geheimen Gegenden der Alten Erde importiert worden waren. Die Musik wurde lauter, während sie die visionäre Dosis vorbereitete, eine Hälfte davon selbst einnahm und den Rest Dramokles gab. In der Zeit, ehe die Substanz zu wirken begann, reichte Drusilla Marzipanplätzchen und Kräutertee. Schon bald spürte Dramokles, wie es in seinem Magen brannte und kribbelte. Bunte Flecke tanzten ihm vor den Augen, und seine Glieder zuckten und zitterten unkontrolliert. Als er versuchte, gerade zu sitzen, neigte sich die Kammer gefährlich nach einer Seite, und das gemeißelte Gesicht der Göttin schien ihn mit einem unheimlichen Grinsen anzustarren.
Die Flut der Sinneseindrücke schwoll weiter an, und bald fühlte sich Dramokles, als sei er in einen reißenden Gebirgsfluß gefallen. Der Altarraum verblaßte. An seine Stelle traten drohende Gesichter, die Dramokles anstierten und dann wieder verschwanden. Violette Schatten tauchten aus dunklen Nischen auf und reckten ihm zuckende Tentakeln entgegen. Ein Chor aus tausend Stimmen sang im Hintergrund, und dann durchflutete Licht die Kammer, und sie verwandelte sich völlig – Dramokles fand sich in einem riesigen Raum wieder, den ein palastartiges Gebäude von kolossalen Ausmaßen umgab. »Was ist das für ein Ort?« fragte er. Leise und scheinbar weit entfernt hörte er Drusillas Stimme.
»Danke der Göttin, Vater, denn sie hat dich in den Palast der Erinnerung gebracht. Alles, was du in deinem Leben gesehen oder gehört hast, ist irgendwo hier. Auch die Geheimnisse, die du vor dir selbst verborgen hast, sind hier. Geh nun, oh König, und finde, wonach du suchst.«
Der Palast der Erinnerung war Ultragnolle sehr ähnlich, fand Dramokles, aber nobler, kostbarer, schöner, ein idealisiertes Schloß, wie es nur in Träumen oder Erinnerungen existieren konnte. Er trieb über feine Teppiche hinweg, vorbei an in Mauernischen stehenden, schimmernden Statuen. Unter der Decke warfen glitzernde Kristalleuchter strahlendes Licht auf kostbare alte Wandteppiche.
Dramokles trieb durch einen Korridor, der sich endlos in beide Richtungen zu erstrecken schien. Auf beiden Seiten waren Zimmer, deren Türen offenstanden. Dramokles spähte kurz in jedes hinein, während er wie ein Gespenst den endlosen Korridor hinunterschwebte.
Einige der Zimmer waren dicht angefüllt mit Gegenständen, in anderen befanden sich nur ein oder zwei Dinge. Da waren die Überreste vergangener Festmähler, dort sein erster Mangelbeerenkuchen, sein erster Salzhering, sein erstes Pumpernickelbrot. Andere Räume waren angefüllt mit abgetragener Kleidung, alten Büchern, zerknüllten Zigarettenpackungen. In einigen der Räume saßen reglose Gestalten; ob es Menschen waren oder Statuen, vermochte er nicht zu sagen. Da war der alte Gregorius, der den jungen Dramokles im Schwertkampf unterwiesen hatte – wie still der redselige alte Knabe jetzt war! Und da waren Phlibistia, sein Kindermädchen, und Otania, in die er sich als Vierzehnjähriger verliebt hatte. Zimmer auf Zimmer enthielt ähnliche Überraschungen. Doch vor ihm lagen seltsamere Dinge, denn Dramokles kam zu einer Reihe von Zimmern mit geschlossenen Türen, und als er sie zu öffnen versuchte, stellte er fest, daß sie verschlossen waren.
Er rüttelte an den Klinken und hämmerte gegen die Türen, ja versuchte sogar, sie mit dem Fuß einzutreten. Aber er war ein ätherisches Wesen an einem imaginären Ort, und seine Schläge hatten keine Kraft. Enttäuscht wandte er sich ab. Er hatte das Gefühl, daß sich hinter diesen Türen lebenswichtige Informationen befanden, und er konnte nicht verstehen, warum sie ihm versperrt waren. Verwirrt bewegte er sich auf einen Lichtschein in der Ferne zu. Als er näherkam, sah er, daß sich dort am Ende des Korridors eine Tür befand. Sie stand offen, und der Raum dahinter war
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