Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft
verdiente er bis zu 10 000 Euro mit seinen Transporten. Dann kam die Krise in Griechenland und Deutschland wurde zum gelobten Land der Bulgaren.
Auf einer Landstraße kurz vor Bukarest ist Stau. Verkäufer drängeln sich an die Fenster und halten ihre Waren in den Wagen. Hakim feilscht. Er kauft zwölf Paar Strümpfe für drei Euro, Kristallgläser für seine Mutter, gefälschte Nike-Schuhe für seinen Sohn. »Drecksvolk«, murmelt er und drängelt sich auf den Seitenstreifen, vorbei an den Lkw, »alles Zigeuner und Diebe.« Die Rumänen seien schuld daran, dass tüchtige Osteuropäer wie seine Bulgaren einen schlechten Ruf in Deutschland hätten.
Kurz vor der Grenze zu Ungarn kontrolliert Hakim sein Handschuhfach und greift zu einem gefälschten Militärausweis, der ihn als Offizier der bulgarischen Armee identifiziert. »Seit acht Jahren erleichtert dieser Ausweis mein Leben«, sagt Hakim. Er fährt an die Seite. Der Grenzbeamte sagt, er wolle jeden Koffer kontrollieren. »Er will nur Geld, das hungrige Schwein«, flüstert Hakim und hält seinen Ausweis aus dem Fenster. Der Beamte starrt das Papier an und wartet. Hakim schreit in den Bus: »Wer hat fünf Euro? Her damit!« Yazar holt einen Schein aus seiner Hosentasche und reicht ihn nach vorn. Hakim gibt dem Beamten das Geld. »Hier, kannst Suppe trinken«, sagt er. Der Beamte reicht ihm den Ausweis zurück. Die Reise geht weiter.
Es ist mitten in der Nacht, Hakims Handy klingelt. Es ist ein türkischer Raststättenbetreiber aus Dänemark. »Du willst eine Frau? Warum? Muss sie hübsch sein? Nein? Okay. Eine Pizzabäckerin habe ich noch im Dorf. Bringe ich dir nächsten Dienstag mit, 450 Euro. Cash. Ciao.« Während er mit Tempo 160 auf der Autobahn fährt, tippt er eine Erinnerung in seinen Handy-Kalender. »Dienstag. Frau. Dorf. Dänemark.« Dann dreht er die Musik lauter. Hakim klatscht in die Hände. Er ist zufrieden. Der Bus für nächste Woche ist schon zur Hälfte ausgebucht. Drei Bauarbeiter nach Hamburg, eine Frau nach Dänemark. Die Männer bringen 900 Euro, Transport und Vermittlung, die Frau 450. Das ist jetzt schon besser als die heutige Tour.
Hakim braucht selten Schlaf. Wenn seine Augen brennen und er die Fahrstreifen kaum noch erkennt, fährt er auf einen Rastplatz, stellt den Motor aus, bindet sich einen grauen Schal über die Augen, zieht seine Schuhe aus und legt die Füße hoch. Innerhalb weniger Minuten beginnt er zu schnarchen. In einem normalen Bett kann er schon seit Langem nicht mehr gut schlafen. »Mein Körper ruht nur im gekrümmten Zustand«, sagt er später.
Kurz vor der deutschen Grenze holt Hakim drei Digitalkameras und 1600 Euro aus dem Handschuhfach. »Wir sind Touristen und fahren auf eine Hochzeit«, ruft er in den Bus hinein. »Kapiert?« Alle nicken. Jeder bekommt 200 Euro in die Tasche, die Digitalkameras werden verteilt. Nach fünf Minuten wird aus dem silbernen BMW vor ihnen eine rote Kelle gewinkt. Der Bus wird auf einen Parkplatz gelotst. Zivilfahnder kommen ans Fenster und fragen nach dem Reisegrund. »Turist, Turist, Germania Tur, Familywedding in Germania«, sagt Hakim. Die Beamten nehmen die Pässe. Nach zehn Minuten geht die Fahrt weiter. »Sie könnten uns sowieso nicht daran hindern, durch Europa zu reisen«, sagt Hakim. »Wir sind EU-Bürger, aber die Hochzeitsnummer macht es viel stressfreier.«
Hakims erster Halt in Deutschland ist Dortmund. Dort holt er Döner-Gewürze, die er an bulgarische Imbissbesitzer in Russe verkaufen wird, wie jede Woche. Um kurz vor 21 Uhr erreicht er Frankfurt am Main, er ist jetzt seit 28 Stunden unterwegs. Rushti Yazar sieht zum ersten Mal die Frankfurter Skyline, hell erleuchtet, die Türme der Banken, Versicherungen, das große Geld. Er ist begeistert, das höchste Gebäude in seinem Dorf ist die Moschee mit dem Minarett. Aber wo ist der Treffpunkt mit seinem Verwandten? Plötzlich sieht er an einer Straßenecke einen Jungen auf einem Fahrrad. »Stopp, stopp«, schreit Yazar. Der Junge ist sein Cousin. Hakim bremst und kassiert die 150 Euro. »Wenn du zurück willst, dann ruf an. Du bleibst sowieso nicht lange, Kleiner«, sagt Hakim.
200 Kilometer weiter endet die Reise für Kemal. Vor einigen Wochen ist er zu seinen Verwandten nach Ludwigsburg gezogen. Hier lebt er jetzt mit sieben von ihnen auf 60 Quadratmetern, es ist ein Aufstieg gegenüber Hamburg-Wilhelmsburg. Auch in Ludwigsburg wird Kemal auf dem Bau arbeiten. »Die Deutschen zahlen anständiger, hier leben nicht
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