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Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Titel: Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Redline Wirtschaft
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spielen ruppige Ballspiele und schlagen die Zeit tot. An der Aral-Tankstelle stehen immer ein paar Figuren herum, die es aufgegeben haben, sich wertzuschätzen.
    Das Arbeitsamt ist ein hoher grauer Kasten. Viele Glasflächen, aber das macht das Gebäude nicht freundlicher. Hinter grauer Fassade verwaltet ein Heer von Kafka-Beamten West und Konsorten. Die Büro-Lemuren aus der Sonnenallee 282 bilanzieren getreulich, was mit den Hoffnungslosen so passiert im Laufe eines Jahres. Das wird zu Papier gebracht und liest sich dann folgendermaßen:
    Im Jahr 2009 haben sich die Rahmenbedingungen für den Bezirk der Agentur für Arbeit Berlin Süd nicht gravierend gegenüber dem Vorjahr verändert. Im Bezirk der Arbeits-Agenturen Berlin Süd leben circa. 1,16 Millionen Menschen. Dies entspricht rund einem Drittel der Gesamtberliner Bevölkerung. Davon sind 51,1 Prozent Frauen und 48,9 Prozent Männer.
    Der Anteil der Mitbürgerinnen und Mitbürger mit Migrationshintergrund beträgt im Bezirk 26,3 Prozent und reicht von einem Anteil im Bezirk Neukölln von 39,6 Prozent bis 7,1 Prozent in Treptow Köpenick. Auch in den Stadtbezirken der Agentur für Arbeit Berlin Süd war im Jahr 2009 die globale Wirtschafts- und Finanzkrise in einigen Branchen zu spüren. Der Arbeitsmarkt hat sich im Jahr 2009 jedoch deutlich besser entwickelt als erwartet und erwies sich erfreulich stabil. Mit einem Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung um 1,6 Prozent lag Berlin bundesweit an der Spitze aller Bundesländer.
    Im Agenturbezirk Berlin Süd stieg die Zahl der Arbeitslosen im Vergleich zum Vorjahr um 3,4 Prozent (2.328 Personen) von 68.381 auf 70.709. Die Arbeitslosenquote, bezogen auf alle zivilen Erwerbspersonen, betrug 2009 im Jahresdurchschnitt 13,6 Prozent.
    Ich erlebte das Amt nicht grau in grau, sondern als schwarzen Klotz, beleuchtet von ein paar Laternen-Funzeln und den Scheinwerferspielen weniger Autos auf der Sonnen- und der Grenzallee. Es war vier Uhr morgens. Nur wenige Menschen, vor allem Männer, schlurften den Gehweg entlang, bogen aufs Grundstück des Arbeitsamts ein, passierten eine Durchfahrt und querten einen dunklen Hinterhof. Sie wollten zu der Stahltür, die um diese Zeit für den Besucherverkehr schon aufgesperrt war. Der Raum hinter der Tür war nicht sehr groß. Es roch nach abgestandener Luft, nach Knoblauch, Alkohol und Ungewaschen-Sein. Zwei Dutzend Menschen hatten sich eingefunden. Viele kannten sich. Da war der Jugo, der sich gar keine großen Hoffnungen machte – er konnte nur nicht schlafen, zu Hause fiel ihm die Decke auf den Kopf und draußen war es zu ungemütlich. Später würde er es sich vor dem Bistro am S-Bahnhof Köllnische Heide gemütlich machen.
    Da war der kleine Thai-Mann. Der ließ sich nicht unterkriegen. An jedem Werktag tauchte er auf – und wenn er mal einen Job ergatterte, strahlte er übers ganze Gesicht. Aber das war nicht oft so: Grund zum Strahlen hatte er vielleicht zwei-, dreimal im Monat. Oder der Berliner mit dem Narbengesicht. Er sah gefährlich aus, war aber eine Seele von Mensch. Wenn einer zum ersten Mal in der Sonnenallee Arbeit für ’nen Tag suchte, half ihm der Icke über die Runden. Wo man sich am besten hinstellte, wenn man nicht übersehen werden wollte. Was für Jobs ein gutes Gefühl machten und von welchen man am besten die Finger lassen sollte. Wer im Raum ein guter Kumpel war, wer schnell austickte, wo die Linkmichel saßen… Solche Sachen eben.
    Zwischen halb fünf und fünf kam jemand und vergab – ein wenig gönnerhaft – die Glückskarten des Tages. Verstärkung für die Schneeräumkommandos im Winter, Notfall-Besatzung an Großbauprojekten. Helfershelfer beim Stadtputz… Wer einen Job zugeschanzt bekam, war einen Tag ein glücklicher Mann. In den nächsten Stunden hatte er das Gefühl, gebraucht zu sein. Abends gab es einen Fuffi auf die Kralle – wunderbares Gefühl.
    Aber eine unsichere Sache blieb das alles doch. Es gab nicht genug Arbeit im Angebot. In der Sonnenallee gehst du oft unverrichteter Dinge wieder nach Hause. Dann bist du den ganzen Tag gerädert, weil Du so früh aus den Plünnen musstest. Du fühlst dich nutzlos, hast keine Energie für sinnvolle Aktionen. Du kannst ziemlich sicher sein, dass das ein mieser Tag wird.
    Wer mit Icke darüber redet, dem wird er sagen: »Wennde dir traust, gehste ebent auf’n Strich. Momentan is der am Treptower Park. Is aber nich ganz unjefährlich. Wennde Pech hast, wirste total beschissen.

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