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Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Titel: Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Redline Wirtschaft
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vier Männer, die kauen, schlucken und schwer schnaufen. Und die seufzend ihre Habseligkeiten in den Rucksäcken verstauen, als die halbe Stunde vorbei ist. Dann hört man vier Männer, die sich ächzend erheben. Alsdenn! In Gebäude 2 zerfällt die Einrichtung einer Schweinezucht. Die Männer müssen viel Metall – Gitter, Gatter, Roste, Stangen – entsorgen. Trotz der Kälte schwitzen alle. Die beiden Rumänen-Transporter fahren den Hof im Akkord an. Kaum ist einer beladen, steht auch schon der andere leer und fordernd da.
    Schweigend schuften die Männer. Jetzt hat mit Sicherheit jeder das Denken eingestellt. Ich bin ein sportlicher Typ. Habe immer Sport getrieben, bin Marathons gelaufen, kann ziemlich gut schwimmen und liebe körperliche Herausforderungen. Jetzt mag ich mich gerade gar nicht. Da die Handschuhe mittlerweile nass sind, habe ich klamme Finger, die beim Zupacken schmerzen. Vieles tut weh. Der Rücken, der Nacken, die Unterarme, die Knie. Mir ist kalt. Ich beuge mich über ein Stück Müll, suche nach dem besten Griff und richte mich auf. Dann sind sie besonders intensiv, die Schmerzen. Ich drehe mich in Richtung des Lasters und setze mich in Bewegung. Kurz sind meine Schritte geworden. Jetzt tun auch noch die Füße weh. Das ist ein Scheiß-Job hier. Selbst für den Arbeitsstrich ist das eine Zumutung.
    Nach sehr vielen kleinen Schrittchen erreiche ich den Laster. Verdammt, sie haben schon wieder so hoch aufgeladen, dass ich meine Last bis in Gesichtshöhe hieven und dann auf das andere Gerümpel stoßen muss. Normalerweise wäre das eine Kleinigkeit. Doch jetzt muss ich mich konzentrieren. Wenn ich das jetzt versemmle, würde dieses verschissene Stück Eisen mir vor die Füße fallen, ich müsste es aufheben – und alles noch einmal von vorne.
    Also hebe und stemme und schubse ich mit aller Kraft, die noch da ist. Und jetzt tut alles besonders weh. Alles. Danach ist der Müll auf dem Müll – und die Schmerzen klingen allmählich ab, während ich zum Gebäude zurückschlurfe. Ich stolpere durchs Tor, nähere mich einem Berg Schrott und habe ein schlimmes klammes Gefühl. Gleich sind sie wieder da. Die Schmerzen.
    Gegen sechs beginnen wir vier miteinander Sätze zu wechseln. Uns ist nach Witzen zumute. Wir spüren, wie hart der Tag gewesen ist – doch nun ist er bald vorbei.
    »Was glaubste? Noch zehn Touren jeder?«
    »Nie. Gleich sind wir fertig.«
    Ein voller Laster verlässt den Hof. Dann kommt kein Laster mehr.
    Wir stellen uns in dem leer geräumten Gebäude 2 unter und warten. Ohne große Hoffnung schauen wir in die Dunkelheit – vielleicht tauchen doch noch die Scheinwerfer des Rumänen-Autos auf? Aber wir wissen eigentlich, dass wir gelinkt worden sind. Hat man immer wieder, wenn man sich auf solche Jobs einlässt. Nach eineinhalb Stunden meint der Größere der Maulfaulen, der den ganzen Tag keine zehn Wörter gesagt hat: »Die ham uns verscheißert. Die kommen nicht mehr. Ich friere. Ich mach’ mich vom Acker.«
    Er marschiert los. Über verschneite Felder in Richtung der leichten Helligkeit am Nachthimmel. Dort ist Berlin, so viel ist schon einmal klar. Wortlos stapften wir. Irgendwann ist die Skyline der Hartz-IV-Hochhäuser auszumachen. Um neun queren wir den ehemaligen Mauerstreifen und sind zurück in Berlin. Auch auf den Bürgersteigen liegt Schnee. Jan sagt, früher habe er mal in der Nähe gewohnt. Die U-Bahn sei nicht mehr weit. Er übernimmt die Führung. »Lipschitzallee« heißt die trostlose Station. Ein Kiosk, ein verwahrloster Platz, dunkle Geschäfte, ein dunkler Netto-Markt, ein Bierstübchen, aus dem gelbes Licht funzelt.
    Die vier verschmutzten Männer setzen sich an einen freien Tisch und bestellen Bier und Schnaps. Jeder weiße vom anderen, dass man das Geld dazu eigentlich nicht hat. Wir bestellen die nächste Lage. Die zwei Wortkargen hören zu, wie sich Jan und ich zu unterhalten beginnen. Wie wir uns ausmalen, was wir mit den Rumänen anstellen würden. Wie wir – wir wurden rasch sehr besoffen – zu erzählen beginnen, was uns auf den Strich verschlagen hat. Jan und ich reden immer mehr.
    Noch vor Mitternacht ist alles Geld alle. Zusammen gehen wir zur U-Bahn, zusammen fahren wir mit der Rolltreppe zum Perron. Dort bleiben die Maulfaulen schweigend beieinander. Der Pole und ich suchen uns verschiedene Bänke und warten auf die U7 in die Stadt. Man will nichts mehr miteinander zu tun haben.
    Ich sehe nicht mehr klar. In meinem Waggon pennt noch jemand in

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