Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft
der Ecke, ansonsten bin ich allein. Die Gedanken flackern durcheinander. Pleite. Wie lang waren wir da draußen? Von sechs bis sechs. Halber Tag. Kein Cent – und den Rest auch noch auf den Kopf gehauen. Wo soll ich morgen Kohle hernehmen? Ach, scheiß’ drauf. Wenigstens blau. Morgen hab’ ich Muskelkater, ich schwör’s. Komischer Typ, der Jan. Hat was auf’m Kasten und ist nett. Ob dem die Alte jetzt die Hölle heiß macht? Kann mir egal sein. Eigentlich muss ich froh sein, dass ich keine Alte hab’.
Ich schwanke, als ich aussteige. Fast hätte ich mich langgelegt. Blöder Slapstick. Ein paar junge Leute trinken in der warmen U-Bahn-Station ihr Bier und lachen sich scheckig über einen auf dem Boden liegenden Dreckspenner. Wenn sie nicht so faul wären, würden sie jetzt ein paar nette Spielchen mit ihm spielen. Penner ärgern ist ein schöner Spaß.
Aber sie haben keinen rechten Bock. Stoßen den Schlafenden mit den Schuhspitzen an und ziehen weiter. Mich boxen sie nur einmal in die Seite. Dann geht jeder seines Wegs. Uff! Glück gehabt! Das hätte gerade noch gefehlt: jetzt Dresche beziehen. So fügt es sich, dass ich nach einem Tag Arbeitsstrich wenigstens heil nach Hause komme. Wenigstens etwas.
Unter Lohndrückern – Von Massimo Bognanni
Mit Leidenschaft deckt der Journalist Massimo Bognanni Missstände in Politik und Wirtschaft auf und erzählt die Geschichten derer, denen sonst selten jemand zuhört. Als freier Autor arbeitete er unter anderem für den Stern , Brand Eins , die Zeit und die Süddeutsche Zeitung . Im Sommer 2011 heuerte er undercover bei einer Zeitarbeitsfirma an, um im Selbstversuch zu erfahren, wie sich Akkordarbeit im Niedriglohnsektor anfühlt. Er ist heute Reporter beim Handelsblatt .
Mit Werkverträgen senken immer mehr Unternehmen ihre Personalkosten. Stern-Mitarbeiter Massimo Bognanni war Regaleinräumer bei Rewe.
Nennen wir ihn Dirk. Er ist stellvertretender Teamleiter. Er wird mich in den nächsten zwei Wochen fertigmachen. »Mitkommen«, sagt er und eilt in ein Büro gleich neben der Getränkeabteilung. Dirk hat keine Zeit für Begrüßungsfloskeln, diktiert mir nur schnell die Bedingungen: 6,50 Euro die Stunde, der Job ist Akkordarbeit. »Du hast eineinhalb Stunden für eine Palette Zeit. Wenne das nich schaffst, musste gehen«, sagt er. Ich verspreche, Vollgas zu geben. Bei Dirk hinterlässt das wenig Eindruck. »Warte, bis der Chef da ist, der reißt dir den Arsch auf.« Nächste Woche kann ich anfangen: als Regaleinräumer der Teamwork – Die Büttgen GmbH in einem Kölner Rewe-Supermarkt. Glaubt man der Bundesregierung, dürfte es solche Beschäftigten wie mich bei den Supermarktketten gar nicht mehr geben.
Im März hatte Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) vor dem Bundestag neue Regelungen für die Zeitarbeit präsentiert. »Wer seiner Belegschaft kündigt, um sie für die gleiche Arbeit zu schlechteren Löhnen als Zeitarbeiter wieder einzustellen, der kündigt den fairen Umgang miteinander auf«, sagte sie damals. Mit den neuen Bestimmungen sollten Ungleichheiten ein Ende haben. Außerdem ziehe die Regierung »in der Leiharbeit nun eine gesetzliche Lohnuntergrenze ein«.
Im Westen gilt seitdem ein Mindestlohn je Stunde von 7,79 Euro und im Osten von 6,89 Euro. In der Wirklichkeit aber geht das Lohndumping weiter: Statt Zeitarbeiter für bestimmte Tätigkeiten zu entleihen, lagern die Supermärkte zunehmend Arbeit an Subunternehmen aus. Das nennt sich »Werkvertrag«. Die Firmen werden je »Werk« bezahlt, beispielsweise für jede Palette Lebensmittel, die ihre Mitarbeiter einräumen. So wird der Mindestlohn ausgehebelt.
Neben Teamwork, einem der größten Anbieter im Geschäft mit den Werkverträgen im Einzelhandel, gibt es laut »Lebensmittelzeitung« 120 weitere Subunternehmen in Deutschland, die rund 350 000 Beschäftigte in den Handel vermitteln, vor allem in die Warenverräumung. Sie werden aber auch gern für Lagerarbeiten eingesetzt, sie kommissionieren, sortieren und konfektionieren. Und das alles für 6 oder 6,50 Euro die Stunde. Neben Rewe und Real arbeiten auch bei der Drogeriemarktkette Rossmann Werkvertragler zu Niedriglöhnen. In jeder zweiten Filiale füllen die Billigkräfte des Subunternehmens Instore Solution Services GmbH die Regale auf. Rossmann nennt als Grund: »Um den Mitarbeitern mehr Zeit für die Kunden zu geben.«
Zwei Wochen nach meiner Bewerbung melde ich mich im Rewe-Büro im Kölner Stadtteil Rodenkirchen. Teamleiter
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