Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft
André (Name von der Redaktion geändert) kritzelt meine Daten auf rotes Papier. Der Block hat Hunderte Vordrucke. Arbeit ist hier ein Massengeschäft. Ich bekomme Handschuhe, ein Teppichmesser und ein blaues T-Shirt. »Teamwork ... and it works«, steht darauf. Dirk ist auch wieder da, um aufzupassen – auf mich und fünf andere Billiglöhner.
Ich soll eine Palette Konserven einräumen. Dirk gibt mir 90 Minuten Zeit. Ich trage die Dosen im Laufschritt durch den Supermarkt. Dirk patrouilliert zwischen den Regalen. Nach anderthalb Stunden baut er sich vor mir auf: »Das muss schneller gehen.« Der Dosenstapel auf der Palette reicht mir noch immer bis zu den Schultern. Nach vier Stunden habe ich es geschafft. Dirk steht selbst gewaltig unter Druck. Wenn die Regaleinräumer nicht schnell genug sind, bekommt er Ärger. Denn je schneller die Werkvertragler die Waren einräumen, desto mehr Geld bleibt für Teamwork übrig. Das Geschäftsmodell geht auf: Selbst im Jahr der Wirtschafts- und Finanzkrise 2009 verzeichnete das Unternehmen einen Umsatz von knapp 40 Millionen Euro und einen Jahresüberschuss von 1,4 Millionen Euro.
Obwohl Festangestellte und Werkvertragler den gleichen Job erledigen, herrscht im Supermarkt eine Zweiklassengesellschaft: oben die Rewe-Mitarbeiter in ihren weißen Kitteln, unten die Teamworker in ihren blauen Shirts. Auch bei der Bezahlung trennen sie Welten: Rewe-Mitarbeiter bekommen für körperliche Arbeit wie das Regaleinräumen laut Tarifvertrag mindestens 11,70 Euro die Stunde – fast doppelt so viel wie die Teamworker. Teamwork und viele seiner Mitbewerber zahlen in Westdeutschland 6,50 Euro die Stunde, im Osten sind es 6. Grundlage ist ein Tarifvertrag zwischen der christlichen Gewerkschaft DHV und dem Verband Instore und Logistik Services (ILS), dem auch Teamwork angehört.
Eine christliche Gewerkschaft, die Billiglöhne auch im Einzelhandel ermöglicht, gab es schon einmal: Die Christliche Gewerkschaft für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) hatte mit vielen Tarifverträgen seit 2003 Lohndumping durch Leiharbeit zugelassen, was unter anderen die Drogeriekette Schlecker ausnutzte und damit für einen Skandal sorgte. Das Bundesarbeitsgericht hat die CGZP im vergangenen Jahr für tarifunfähig erklärt. Sie hatte zu wenig Mitglieder, um die Interessen der Arbeitnehmer tatsächlich vertreten zu können. Davon unbeeinträchtigt kann die DHV weiterhin Dumpingtarife beschließen.
Denn solange niemand gegen die Gewerkschaft klagt, werden ihre Tarife benutzt. Peter Schüren, Professor am Institut für Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftsrecht der Universität Münster, hat für den Stern den DHV-Tarifvertrag für die Regalauffüller unter die Lupe genommen. Sein Fazit: »Der Vertrag bedient nur Arbeitgeberwünsche – ohne eine Spur von Interessenvertretung auf der Arbeitnehmerseite.« Nicht nur der Lohn sei extrem niedrig, auch die flexible Arbeitszeitregelung spare erhebliche Kosten. Angestellte müssen erst zwei Tage vor ihren Einsätzen über Arbeitszeit und -ort informiert werden; üblich sind bei Abrufarbeit vier Tage. Zudem können Arbeitsverträge ohne bestimmten Grund bis zu drei Jahre lang befristet werden, gesetzlich erlaubt ist eine Befristung von zwei Jahren.
Besonders pikant: Den DHVTarifvertrag haben auf Gewerkschaftsseite Gunter Smits und Hans-Joachim Bondzio unterschrieben – genau dieselben Funktionäre, die schon früher »christliche« Tarifverträge für Leiharbeitnehmer unterzeichnet hatten. Wenn Regaleinräumer sich bei der DHV, »ihrer« Gewerkschaft, melden, landen sie bei eben jenem Hans-Joachim Bondzio. Er ist für den Bereich Handel und Warenlogistik zuständig. Wer mit ihm telefoniert, bekommt zu hören, dass der Verband nur vereinzelt Mitglieder von Teamwork habe. Von Aktionen gegen die Ungerechtigkeiten rät Bondzio ab. Er wirbt nicht einmal für die Mitgliedschaft in der DHV.
Ganz andere Töne schlägt die DHV an, wenn sie vom Stern offiziell nach ihrer Meinung zu den Dumping-Verträgen gefragt wird. Dann sagt der DHV-Bundesvorsitzende Gunter Smits, er sehe den eigenen Tarifabschluss mit »großer Sorge«. Man habe sich »schweren Herzens« dafür entschieden, ihn zu unterzeichnen. Man dürfe jedoch die im März verhandelten Löhne nicht mit dem Mindestlohn für Leiharbeit vergleichen – sondern mit den Tariflöhnen, die Werkvertragler im Einzelhandel vor dem neuen Abschluss erhalten hätten. Die seien für Regaleinräumer noch etwa 20 Prozent
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