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Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Titel: Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Redline Wirtschaft
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Schubfach gesteckt.
    Da begebe ich mich lieber in die Kälte nach draußen. Ein auffallend adrett gekleideter Mann Mitte 30 spricht mich an. Er meint, ich sollte mir nach den Feiertagen mal »anständige Klamotten« geben lassen, und nennt mir eine Adresse. »Die Sachen sind top, alles aus Kleidersammlungen. Das Richtige für dich. Du gehörst doch auch nicht hierhin und hast sicher mal bessere Tage gesehen.«
    »Wer gehört schon hierhin?«, entgegne ich verlegen.
    Da gibt er mir recht und meint: »Hier zeigt die Geldmetropole ihr wahres Gesicht. Darum hat man uns auch so weit weg von den Bankentürmen ins Abseits verbannt.« Henning, so heißt er, hat in Frankfurt eine Banklehre absolviert und war auf dem besten Wege, selbst so ein »Anlageberater-Fuzzi« zu werden. »Dann habe ich im Suff den Fehler meines Lebens begangen. Seitdem bin ich das schwarze Schaf der Familie.«
    Was denn gewesen sei, frage ich ihn.
    Er schaut zu Boden und flüstert fast: »Ich habe einen Menschen totgeschlagen.« Nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: »Es war Notwehr, der hat meine Frau angefasst. Ist in einer Disko passiert. Da kam ein Kollege zu mir und sagte: Geh mal zu deiner Frau rüber an die Bar, die hat Probleme. Ich bin dann dazwischen gegangen, als ich sah, dass jemand sie attackierte und betatschte.«
    »Und deine Frau stand zu dir?«
    »Ja, bis zu meiner Entlassung, ich habe viereinhalb Jahre gesessen«, sagt er. »Sie hatte Schuldgefühle, weil ich ja ihretwegen im Gefängnis war. Aber als ich draußen war, hat sie die Scheidung eingereicht.«
    Seit seiner Entlassung vor fünf Jahren ist er arbeitslos. »Ein vorbestrafter Bankangestellter kriegt keine zweite Chance.«
    Von Weitem sind dumpfe Knaller zu hören, die den bevorstehenden Jahreswechsel ankündigen. Eine jüngere Kolumbianerin bietet uns einen Schluck aus ihrer Sektflasche an. Für sie begann der Absturz, als ihr Mann, ein Deutscher, starb. Ein Jahr hat sie noch als Kindermädchen bei einer wohlhabenden türkischen Familie gelebt. Aber die sei streng religiös gewesen, habe alles verboten. »Dann bin ich da weg und lebe seit über einem halben Jahr in solchen Heimen.«
    Ein hagerer 40-Jähriger gesellt sich zu uns: »Ich bin Thüringer«, stellt er sich vor. Er habe 13 Jahre in Bayern in der Gastronomie gearbeitet. »Dann habe ich vier Monate wegen Geldschulden gesessen.«
»Ist doch harmlos«, beschwichtige ich.
    Das sieht er anders: »Meine Frau hat’s nicht verkraftet. Sie musste arbeiten und hat unser dreimonatiges Kind weggegeben zur Adoption.« Er schluckt. »Ich werd nicht fertig damit, ich will mein Kind wiederhaben«, murmelt er und wendet sich ab, damit wir nicht sehen, wie ihm die Tränen übers Gesicht laufen.
    Kurz vor Mitternacht stoßen noch zwei durchfrorene und für die heutigen Minusgrade viel zu leicht bekleidete Männer zu uns. Ein gesprächiger 52-Jähriger und sein stillerer 25-jähriger Begleiter. Sie seien, erzählen sie, seit morgens 10 Uhr durch Frankfurt geirrt und von einer Einrichtung zur nächsten geschickt worden. Bis sie dann hier gelandet seien. Geld hätten sie keins und auch bei den verschiedenen Anlaufstellen habe ihnen keiner etwas zugesteckt. Sie hätten eine Therapie bei einer Suchthilfeeinrichtung abgebrochen, wo es zu viel Druck und strenge Regeln gegeben habe, und müssten jetzt sehen, wie sie klarkommen. »Im Ostpark haben wir nichts zu essen bekommen, nicht mal einen Kaffee, obwohl wir doch mittellos sind«, erzählt der Ältere. »Wurden irgendwo untergebracht mit Leuten, die Suchtprobleme hatten. Die Leute lagen in den Betten, haben mit Spritzen hantiert. Das ist eine Katastrophe für mich, auch wenn ich schon längere Zeit clean bin. Es war arschkalt und zog überall rein. Ein Glück, dass wir euch getroffen haben.«
    Man merkt ihm an, dass er das alles mal rauskotzen muss, er ist froh, dass ihm jemand zuhört, ohne blöde Fragen zu stellen: »Ich bin damals eigentlich mit den besten Absichten in diese Therapieeinrichtung in Frankfurt-Niederrad gegangen. Ich wollte eine freiwillige Therapie machen, ohne Druck vom Gericht. Freie Entscheidung. Aber was ich da erlebt habe, war so krass. Es gab keine Suchtberater, es sind alles ehemalige Süchtige, es ist ein reines Arbeitslager. Man wird geknechtet von morgens bis abends. Man muss acht Stunden arbeiten, es ist wie im Bootcamp. Man putzt den ganzen Tag, putzt, putzt, putzt. Auch wenn alles längst blitzblank ist. Man darf sich nicht hinsetzen, nicht mal anlehnen, man

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