Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft
Drogenabhängigkeit freie Entscheidungen unmöglich macht, konnten sie nicht einfach gehen, wie man geht, wenn das Umfeld einen zu zerbrechen droht. Sie mussten regelrecht fliehen, befanden sich noch auf der Flucht und steckten jetzt erst einmal im Containerlager fest, hinter ihnen die Suchteinrichtung, vor ihnen der Knast und die totale Verarmung.
In der Ferne ist ein Feuerwerk zu sehen oder eher ein Widerschein davon, das Krachen dumpf grollender Böller dringt von weit her bis zu uns. Keinem ist danach, ein »frohes neues Jahr« zu wünschen. Es würde wie Hohn klingen. Eine halbe Stunde nach Mitternacht gehe ich in meinen Container und quetsche mich auf mein Hochbett. Drei andere haben sich bereits zum Schlafen niedergelegt. Ein irakischer Kriegsflüchtling antwortet auf meine Frage, wie er nach Deutschland gekommen sei, auf Englisch: »Gott hat mich hergeschickt.« Er macht einen völlig verstörten Eindruck und wendet sich gleich wieder von mir ab. In der Nacht spricht er im Schlaf, zwischendurch höre ich ihn schluchzen.
Die Gedanken drehen sich in meinem Kopf. Wir leben immer noch in einem reichen Land. Diese Menschen aber haben keine Lobby, sie haben keinen, der sich für sie interessiert. Hier könnte man so manchem raushelfen, davon bin ich überzeugt. Aber nur wenn man den Einzelnen und sein jeweiliges Problem ernst nimmt. Gerade im reichen Frankfurt sollte man erwarten, dass mehr getan wird. Aber diejenigen, die sich auskennen und auch in anderen Städten waren, sagen: Frankfurt sei mit das Schlimmste. Eine Kälte und Verachtung, die ihnen hier entgegenschlage. »Die Menschen sehen uns als Dreck an«, habe ich von vielen gehört. Die Bankentürme bestimmen das Bild der Stadt. Der Unterschied zwischen Arm und Reich ist drastisch sichtbar. Und »die da unten« fühlen sich noch mehr verachtet als anderswo.
Endlich schlafe ich ein. Nachts träume ich, dass ich auf den Gleisen liege und ein Zug auf mich zurast. Ich schrecke auf und höre nun wirklich einen donnernden Zug. Er rauscht dicht neben den Containern vorbei.
Nachdem ich meine Erfahrungen mit dem Frankfurter Containerlager veröffentlicht habe, reagieren die Verantwortlichen betroffen. Die Sozialdezernentin der Kommune versucht zwar zu relativieren und meint, man müsse das Containerlager im Zusammenhang mit anderen »Hilfestellungen« sehen, keiner solle dort ja für längere Zeit bleiben. Aber Peter Hovermann, Geschäftsführer des Frankfurter Vereins für soziale Heimstätten, Träger der Übernachtungsstätte Ostpark, geht in die Offensive. Ihm sind die Zustände dort auch ein Gräuel. Viel zu wenig Geld werde für dieses Notasyl bereitgestellt. Aber jetzt sei die Stadt aufgeschreckt, Mittel seien zugesagt worden. Mittlerweile ist ein Beratergremium für das Containerlager eingerichtet worden, an dem sich Aktivisten, Betroffene, Schriftsteller, Künstler und Architekten beteiligen. Die Stadt erwägt, die Container abzubauen und eine menschenwürdigere Unterbringung zu schaffen.
Einer der Experten ist Richard Brox, der selbst 25 Jahre auf der Straße gelebt hat. Ein halbes Jahr ist er Gast bei mir zu Hause gewesen, er hat mir bei der Recherche geholfen und ich konnte ihm eine eigene Wohnung besorgen. In Frankfurt setzt er seine Erfahrungen nutzbringend für andere ein. Auch ich bin ehrenamtlich an diesem Pilotprojekt beteiligt.
Nach neuesten Meldungen aus Frankfurt wird der Plan, die Notübernachtungsstätte Ostpark zu schließen, in Kürze tatsächlich umgesetzt. Statt der Container soll ein Modellprojekt eröffnet werden, das aus mehreren sogenannten mobilen Wohneinheiten für jeweils kleinere Gruppen von 25 bis 30 Menschen besteht. Die Wohneinheiten sind um einen Innenhof gruppiert und stellen jedem Bewohner eine eigene, abgeschlossene Unterkunft mit Fenstern zum Hof und einem eigenen Eingang zur Verfügung. Das Projekt nennt sich »O16« und wirbt mit einer neuen Einstellung zu obdachlosen Menschen: »In O16 dürfen Menschen sein und bleiben, wie sie sind. O16 bietet Möglichkeiten für Veränderungen und Entwicklung.« Nach Angaben des »Frankfurter Vereins für soziale Heimstätten« hat sich die Realisierung dieses guten Planes wegen der knappen kommunalen Kassen und wegen baulicher Probleme hingezogen. Richard Brox hat es übrigens auch bei mir nicht dauerhaft ausgehalten. Er wollte wieder raus, auf die Straße. Dort steht er anderen Obdachlosen mit Rat und Tat zur Seite. Ein Initiativkreis hat ihn 2012 für den »Deutschen
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