Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft
Auch Viktors Daten trägt er ein, schiebt ihm ebenfalls die Formulare zur Unterschrift zu. Dann muntert er ihn auf: »Sie sehen so abgekämpft aus, fahren Sie besser mit Straßenbahn und Bus dahin, sonst machen Sie noch schlapp. Miete kostet im Monat 159 Euro. Können Sie sich aber vom Arbeitsamt wiedergeben lassen.«
»Gibt’s auch Verpflegung?«, will ich wissen.
»Ne, aber einen Aldi in der Nähe.«
»In welchem Alter sind die Insassen?«, frage ich.
»Von 18 bis 80«, antwortet er. »Manche wollen da gar nicht mehr weg. Manche nur noch mit den Füßen voran …«
Ich zögere, die Formulare zu unterschreiben. Er hat uns ihre Bedeutung nicht erklärt; da steht irgendetwas von »TBC-Untersuchung innerhalb der nächsten drei Tage« und von einer »Abtretungserklärung«, mit der wir das Arbeitsamt ermächtigen, die Hartz-IV-Gelder direkt an das Heim zu überweisen. Muss so viel Selbstentmündigung sein? Wir wollen das nicht.
Aber da wird der lockere Beamte plötzlich ärgerlich und droht: »Wenn Sie nicht unterschreiben, dann kommen Sie auch nicht mehr in den Bunker.« Punkt. Auch in Hannover wird offenbar die mir schon aus Köln bekannte Methode angewandt, wie die »Penner« auf die Leiter nach oben zu bugsieren sind: Entweder sie lassen sich aus der Notschlafstelle in die Notunterkunft verfrachten oder sie bleiben ganz auf der Straße und selbst die Notschlafstelle wird ihnen versperrt. Viktor begreift, was vor sich geht. Er lenkt ein und wir unterschreiben. Unsere letzte Frage: »Und wie sollen wir in das Heim kommen? Kriegen wir einen Fahrschein?«
»Ich habe keine Fahrscheine«, sagt der Beamte, jetzt wieder ganz der gewiefte Kumpel, »ich würde einfach mal Leute fragen, die aussteigen.«
Mit den Formularen, die wir im Heim vorlegen müssen, machen wir uns auf die Reise. Nach einer Stunde U-Bahn- und Busfahrt und einem längeren Fußweg stehen wir vor einem düsteren Gebäudekomplex vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Schulenburger Landstraße 335. Eine jüngere Sozialarbeiterin nimmt erneut unsere Personalien auf. Wir reichen ihr unsere Papiere. Das wichtigste ist die »Zuweisung einer Unterkunft wegen Obdachlosigkeit«. Laut Bescheinigung wird jedem von uns ein Bettplatz zur Verfügung gestellt, bis zum 04.02.2010. Jetzt bin ich ein amtlich beglaubigter Obdachloser.
Das Hannoveraner Obdachlosenmagazin »Asphalt« hat einige »Gäste« des Bunkers befragt, die meine Erfahrungen überwiegend bestätigten. »Zwei Nächte war ich mal im Bunker. Das hat fürs Leben gereicht«, fasst Jürgen zusammen, »Gestank, Aggressivität, das Gefühl, eingesperrt zu sein – und ein Wachpersonal, das sich um nichts kümmert.«
»Ein bisschen kann man das auch verstehen, denn die sind ja wahrscheinlich zu Dumpinglöhnen beschäftigt«, vermutet Thomas. Holger erinnert sich: »Ich habe die Nächte da überlebt, besser kann man das, was da abgeht, nicht nennen. Ich wurde oft beschimpft und bedroht, Schlägereien gab es auch. Die Portiers waren allesamt höchst unfreundlich, uninteressiert und ganz offenbar überfordert.« Jürgen berichtet: »Im Bunker wird geklaut und es stinkt, die Hygiene ist unzureichend. Ich musste morgens auf die Toilette, aber das habe ich mir verkniffen und mich später lieber im Stadtwald erleichtert. Außerdem musste man höllisch aufpassen, dass man nichts auf die Rübe kriegt. Das ist sehr aggressiv. Ob die Wachleute dann einschreiten? Guter Witz. Die sah man ab 22 Uhr überhaupt nicht mehr. Das ganze Ding muss weg, das ist eine Zumutung.«
Auch in Hannover reagieren die Behörden und Politiker, als ich meine Erfahrungen aus dem Bunker veröffentliche. SPD-Oberbürgermeister Stephan Weil will den Bunker allerdings nicht schließen, er soll nur besser werden. Der stellvertretende SPD-Fraktionschef und baupolitische Sprecher Thomas Hermann hingegen fordert: »Wir sollten den Bunker schnellstmöglich schließen. Die Unterbringung ist menschenunwürdig. Wir brauchen andere Lösungen, die Individualität, vernünftige sanitäre Anlagen und auch die Sicherheit der Menschen gewährleisten.« Die Verwaltung solle »zügig Vorschläge« unterbreiten.
Die liegen auch ein halbes Jahr später noch nicht vor. Zwar liefen Gespräche und Verhandlungen, um im innerstädtischen Bereich bessere Notunterkünfte anzubieten, so Thomas Hermann Anfang Juli 2009. Aber so lange werde der Bunker noch aufgehalten, mit besserer Beleuchtung, ausgeschilderten Notausgängen und Sichtschutz vor den sanitären Anlagen.
Es
Weitere Kostenlose Bücher