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Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Titel: Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Redline Wirtschaft
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»Prämien-Information« hängt aus. Danach gibt es 30 Cent pro Stunde »bei ausreichender Leistung«, 40 Cent für »befriedigende bis gute Leistung« und 50 Cent »bei sehr guter Leistung«. Das hat mit »individueller Integration und der Weiterentwicklung«, wie es im Hauskonzept heißt, wenig zu tun. Wie viele Bewohner lassen sich von den paar Euro motivieren, dem erdrückenden Klima von Perspektivlosigkeit und Mattheit zu entfliehen, das sich hier ausbreitet? Das ist das Kardinalproblem dieser »Arbeiterkolonie«: Als Ghetto weitab von allem Leben ist sie für viele wirklich die Endstation. Das steckt sogar die Jüngeren an, die sich selbst noch nicht aufgeben würden, hätte die Gesellschaft sie nicht längst schon aufgegeben und abgeschrieben. »Ich komme hier erst mit den Füßen voran wieder raus«, sagt Thomas.
    »Hast du keine Außenkontakte«, frage ich ihn, »Familie, Kinder oder so?«
    »Das liegt alles weit hinter mir in einem anderen Leben, als ich noch Arbeit hatte«, sagt er. »Und meine Freundin lebt drüben im Frauentrakt!«
    »Wenn du ein bisschen Geld hast, dann legst du das auf den Tresen da unten im Keller«, erzählt Thomas. »Das war schon mal anders. Da hatten wir einen echten Kiosk, den hat ein Kumpel von mir geführt. Das war super. Der hat sogar selber kassiert. Dann haben sie uns den wieder weggenommen. Wir werden manchmal behandelt wie die Blöden. Zu doof, um ein paar Euro zusammenzuzählen. Klar, hier leben welche, die sich das Gehirn weggesoffen haben. Für die ist der Laden natürlich auch da. Aber es ist nicht gut, dass die abschätzig behandelt werden, wie Abschaum manchmal. Und außerdem gibt es eben auch andere.«
    Es haben sich noch ein paar Leute zu uns gesetzt, alles Ältere mit einem Haufen Erfahrung. Einer von ihnen mischt sich jetzt ein. »Von wegen doof: Ich kapiere schon lange, was hier läuft. Wir sitzen auf dem platten Land und können nicht weg. Eigentlich soll einmal am Tag unser Kleinbus rüberfahren nach Weeze. Fährt auch meistens. Aber wer mitkommen kann – das ist Roulette. Und manchmal fährt er gar nicht. Dann liefert er gerade Fleisch an den Vorstand. Denen geht es gut. Die kriegen super Fleisch hier vom Hof für die Hälfte des Ladenpreises. Und das sind Direktoren!«
    Das Petrusheim wird vom Rheinischen Verein für Katholische Arbeitskolonien e. V. geführt. Im Vorstand sitzen der Diözesancaritasdirektor aus Aachen, der Diözesancaritasdirektor aus Münster, ein Vertreter der Erzdiözese Köln und einige Pfarrer aus der Umgebung. Unter ihnen Domkapitular Prälat S. aus Wesel, dem ein ehrenamtlicher Mitarbeiter laut Rheinischer Post vorgeworfen hatte, er liebe den Pomp und schikaniere seine Untergebenen »wie ein absolutistischer Willkürherrscher«.
    »Die interessieren sich einen Scheißdreck für uns«, pflichtet Thomas seinem Kumpel bei. »Die zocken ab. Ein früherer Heimleiter hat sich sogar sein Haus von Arbeitern bauen lassen, die beim Petrusheim angestellt waren. So sieht das aus!«
    »Lass gut sein«, meint ein anderer. »Ich hab hier den Arsch warm, danke. Alles andere ist doch Politik. Interessiert mich nicht. Inte­ressiert hier keinen.« Er nimmt seine Flasche und geht rüber zum Haus, wo die anderen stehen und klönen oder manchmal wirres Zeug reden oder schweigen.
    Da knurrt ein anderer, er heißt Matthias: »Immer den Kopf in den Sand! Ich war lange genug im Büro und weiß, was hier läuft. Die haben sich mal ein Programm von irgendeiner Softwarefirma gekauft, zehnmal so teuer wie vom Marktführer. Abrechnungssachen und so. 250 000 Euro! Ich hab ja früher mal selbst in der Branche gearbeitet und nur den Kopf geschüttelt. Nicht nur, weil es viel zu teuer war. Es konnte auch nicht klappen, die hatten keine Ahnung, aber irgendwie die Finger drin. Verwandte, Bekannte, was weiß ich. Es hat natürlich nicht geklappt. 250 000 Euro in der Tonne. Möchte mal wissen, ob da einer den Kopf für hingehalten hat.« (Ich habe später ganz offiziell nachgefragt: Dafür hat niemand den Kopf hinhalten müssen; die Sache wurde als bedauernswertes Vorkommnis verbucht und abgehakt.)
    Walter, Berufskraftfahrer (eine Begegnung im Petrusheim)
    Walter war jahrelang als Lkw-Fahrer im internationalen Fernverkehr unterwegs, von Norwegen, Schweden und Finnland bis Italien, Frankreich, Spanien, Portugal und sogar Marokko.
    »Letztes Jahr musste ich einen größeren Motor runterbringen nach Agadir, Marokko. Erst mal mit Begleitschutz der Polizei quer durch

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