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Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Titel: Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Redline Wirtschaft
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aufgelöst. »Man kann uns doch hier nicht einfach einsperren!«
    Da wird er ungehalten. »Was willst du? Gib endlich Ruhe! Willst du Messer in Rippe oder was?«
    Ich gebe es auf, mit ihm weiter zu verhandeln. Aber ich will mit meinem aggressiven Nachbarn reden auch, um mich von meiner Angst dieser Nacht zu befreien. Ich nehme meinen restlichen Mut zusammen und suche den Mann an seiner Schlafstelle auf. Er ist schon angezogen und kämmt sich gerade sorgfältig sein Haar. »Du warst ja diese Nacht hart drauf«, begrüße ich ihn, »du wolltest mich alle machen!«
    »Ja, logisch«, sagt er ungerührt.
    »Warum denn, ich hab dir doch nichts getan?«
    Da wird er zugänglicher: »Weil ich sauer war. Hier hat es noch keiner gewagt, sich bei mir zu beschweren, noch keiner.«
    Die nächste Stunde unterhalten wir uns, er heißt Fred und ist 41 Jahre alt, zuerst in seinem Schlafraum, dann auf einer Bank direkt vor dem Bunker. Und ich lerne eine ganz andere, verzweifelte, sogar sanfte Seite von ihm kennen. Er erzählt mir von seiner Drogenabhängigkeit, von seinen Krankheiten, davon, wie er angefixt wurde und nicht mehr davon wegkommt, trotz eines Methadonprogramms, an dem er teilnimmt.
    Ein anderer Schläfer aus dem Bunker gesellt sich zu uns. Viktor, 57, ist abgemagert, sein Gesicht zerfurcht. Er hat seit drei Tagen nichts gegessen. Ihn erwartet eine dreimonatige Gefängnisstrafe, weil er zum wiederholten Male schwarzgefahren ist und die Geldstrafe nicht bezahlen kann. »Ich war mal wieder aus dem Bunker rausgeflogen, weil man nicht länger als zwei Tage hintereinander hierbleiben darf. Es war eine eisige Nacht. Ich habe dagesessen und gefroren ohne Ende. Da freust du dich, wenn dann morgens wieder die erste Bahn fährt, und die fährst du dann schwarz, du hast ja kein Geld, um eine Tageskarte zu kaufen. Und du fährst von morgens bis abends hin und her.«
    Viktor hat auch bessere Zeiten gesehen. Er hatte eine Transportfirma. Vor ein paar Jahren verlor er seinen größten Kunden und konnte den Verlust nicht mehr kompensieren. Dann ging alles ziemlich schnell. Arbeitslos, Haus weg, Familie kaputt. »Ich war 30 Jahre verheiratet und habe eine Tochter und ein Enkelkind. Und du kriegst dann ohne festen Wohnsitz noch nicht mal mehr Hartz IV! Hartz IV ist das größte Verbrechen, das es nach dem Krieg gab, dank Herrn Schröder. Du kannst 30 Jahre arbeiten, was ich ja gemacht habe, und nach einem Jahr bist du automatisch wie ein Sozialhilfeempfänger, der in seinem Leben überhaupt noch nicht gearbeitet hat.«
    Fred stimmt ihm zu: »Hartz IV ist wie Sozialamt. Und ich war stolz, dass ich nie zum Sozialamt gehen musste. Ich hab früher Mülltonnen geleert, ich war bei der Stadt angestellt. Aber dann kommst du in so eine Situation und bist am Arsch. Und kommst auch nicht mehr raus. Weil du einen Stempel aufgedrückt bekommen hast. Du hast ihn auf der Stirn stehen. Die wollen uns alle knien sehen. Das siehst du schon beim Amt, da drohen sie uns: ›Wenn Sie nicht ruhig sind, kriegen Sie nichts.‹ Sie haben die Staatsmacht, okay, sie haben das Hausrecht. Aber als ich einen neuen Ausweis brauchte, weil man mich beklaut hatte, musste ich 30 Euro bezahlen. Wie soll das gehen? Ich muss doch auch essen. Das interessiert die nicht.«
    Hartz IV – das ist für die Männer kein letztes Auffangnetz, eine soziale Hängematte schon gar nicht. Sondern Zwangsmittel, um die Leute zu schikanieren, sie endgültig rauszuwerfen aus der Gesellschaft. Viktor sieht das illusionslos: »Einige Bekannte aus meiner früheren Zeit waren in einem festen Arbeitsverhältnis. Dann sind sie wegen Insolvenz der Firma oder sonst wie erst mal in die Arbeitslosigkeit gerutscht. Und dann in Hartz IV. Die werden irgendwann hier mit mir auf der Bank sitzen, das wette ich. Das kommt automatisch, weil’s immer schlechter geht.«
    Ich überrede Viktor, mit mir zum Wohnungsamt zu gehen, und verspreche ihm, seine Geldbuße zu überweisen, damit er nicht ins Gefängnis muss. Für uns ist ein jüngerer Sachbearbeiter mit langer Mähne zuständig. Er ist lässig gekleidet, auf den ersten Blick sieht er aus wie einer von uns. »Dann werdet ihr jetzt erst mal verarbeitet«, sagt er und sucht nach einer »dauerhaften Lösung«.
    Er blättert lange in einer Liste, dann scheint er fündig geworden zu sein. Er nennt uns ein Heim an der Stadtgrenze von Hannover. »Drei Häuser, pro Haus ungefähr vierzig Insassen.« Ich solle nur ein paar Formulare unterschreiben, dann sei alles klar.

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