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Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Titel: Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Redline Wirtschaft
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unterscheidet sie von mir?
    In den Augen von Frau D. ist Franziska eine ganz normale, nicht besonders talentierte Österreicherin, die einfach Pech im Leben gehabt hat. Dass ich Mitte 40 bin, zwei schulpflichtige Kinder habe und keine feste Anstellung, musste ich ihr gegenüber nicht erfinden, das entspricht den Tatsachen. Dass Franziska in Trennung lebt und Schulden hat, war zwar gelogen – aber absurd weit weg von meiner möglichen Wirklichkeit wäre es nicht. Wäre Franziska Moldauerin oder Tadschikin – sie könnte sogar mein Politikwissenschaftsstudium, meinen Universitätsabschluss oder meine 20 Jahre Berufspraxis als Journalistin erwähnen, ohne deswegen unglaubwürdig zu werden. Als illegale Ausländerin könnte Franziska genau die sein, die ich bin, Ausbildung, Ambitionen und Familiengeschichte inklusive, und dennoch – oder gerade deswegen – genau jetzt bei Frau D. an der Bügelstation stehen.
    Frau S. meldet sich auf mein Inserat mit einer jungen, lebhaften Stimme. Sie wundert sich, dass Franziska akzentfrei deutsch spricht. Ich hatte gemeint, das würde meine Chancen auf einen Job erhöhen. Aber das Gegenteil ist der Fall, zumindest bei Frau S. Wir stehen in ihrer geräumigen Altbauwohnung in der Nähe der Innenstadt, doch meiner potenziellen Arbeitgeberin kommen bereits Zweifel. Eine Österreicherin zu beschäftigen käme ihr irgendwie seltsam vor, sagt sie. »Sie werden doch auch mein Klo putzen müssen.« Das sei mir bewusst, sage ich. Ihr aber wäre es unangenehm, sagt sie, lieber wäre ihr für solch intime Verrichtungen »eine richtige Putzfrau, eine Polin zum Beispiel«. Was kann eine Polin, das Franziska nicht kann? Wo müsste ich herkommen, damit ich ihr Klo putzen darf, ohne ihr Gewissen zu belasten? Wir scherzen ein bisschen. Wir sind einander nicht unsympathisch. Es hilft nichts, dass ich beteuere, wie dringend ich Geld brauche. Frau S. schickt Franziska weg.
    » Cleaning, babysitter, I help in house, 7 Euro«, inseriere ich also beim nächsten Mal. Ab jetzt soll Franziska eine Frau sein, die gar kein Deutsch versteht. Gerade erst ist sie in Wien angekommen, kennt hier niemanden, spricht nur ein paar unbeholfene Brocken Englisch. Denn mit glaubwürdigem Akzent deutsch zu reden traue ich mir nicht zu.
    Ich rechne nicht mit großem Widerhall. Doch wieder habe ich mich geirrt. Das Telefon klingelt diesmal sofort, kaum dass die Annonce online geht. Noch spätabends um zehn und morgens wieder ab sieben Uhr. Die Freundlichkeit der Anrufer überrascht. Gleich mehrere umwerben Franziska, mit sanften Stimmen, gedrechselten Komplimenten, die meisten in bemühtem Schulenglisch, ein anderer auf Französisch, einer quält sich sogar ein paar nette Sätze auf Russisch ab. Nein, nein, die Sprache sei überhaupt kein Thema, versichern sie. »I come cleaning, yes?«, stottert Franziska und bekommt dafür sogleich das Angebot, dem Anrufer privaten Englischunterricht zu geben. Franziska sei doch so intelligent, sie könne mehr verdienen als 7 Euro in der Stunde. Ob sie sich denn nicht für Kunst interessiere, für Fotografie? Ein Model könne sie werden, man könne sie ganz groß rausbringen, doch, doch, dafür sei sie ganz sicher hübsch genug, sie wisse es bloß noch nicht. Einer bietet an, sie könne gleich bei ihm einziehen und am nächsten Tag schon Kleider kaufen gehen. Nur für »ein bisschen Massage, ab und zu«.
    Es muss, so lassen diese seltsamen Telefonate vermuten, eine Dutzendschaft von Männern geben, die dort draußen, in den Weiten des Internets, den ganzen Tag Annoncen screenen und sofort zuschlagen, wenn sie auf dem Marktplatz Frischfleisch wittern.
    Herr K. ist anders, das hört man sofort. Geschäftsmäßiger, nüchterner. Er habe vor dem Winter einiges im Haushalt zu erledigen, das er mit seinem kaputten Bein nicht schaffe, sagt er: die Gardinen abnehmen, waschen und wieder aufhängen, die Ventilatoren reinigen und oben im Kasten verstauen. Franziskas Alter interessiert ihn ausschließlich aus technischen Gründen. Ob Franziska fit genug sei, um auf Leitern zu steigen? »Yes, I can «, sagt sie.
    Herr K. öffnet die Tür im Unterhemd, mit einem Handtuch über den Schultern. Hinter ihm eine klassische Wiener Substandard-Wohnung, die offenbar in jahrelanger eigenhändiger Bastelarbeit bewohnbar gemacht wurde. Herr K. ist ein stämmiger Mann von etwa 60 Jahren, in seinem Wohnzimmer stehen Turnbänke mit Hanteln, er scheint eben trainiert zu haben. Dennoch wirkt nichts an ihm bedrohlich. Er

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