Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft
Leute, die waren Professoren, Ärzte, und die sind heute auf der Straße. Sie sind einfach plötzlich rausgefallen aus diesem System, konnten sich nicht mehr finanzieren. Dann kamen vielleicht noch ein, zwei Schicksalsschläge dazu und die haben sie dann auf die andere Bahn gebracht. Nicht auf die schiefe Bahn, das kann man, glaube ich, so nicht sagen. Aber auf eine andere Bahn, in ein anderes Leben geworfen.«
Rainer steht auf, will sich ein bisschen die Beine vertreten. Ich schließe mich an. Wir verlassen den großen Innenhof und schlendern zuerst zum Friedhof. Am Ende der »Hauptstraße« liegt das große Geviert. Etwa 300 grobschlächtige Kreuze aus Beton in Reih und Glied und immer gleichem Abstand, mit Namensschildern aus Metall, vermitteln den Eindruck eines Soldatenfriedhofs. Aber anders, als es die Uniformität und Gleichmacherei nahelegt, sind die hier bestatteten Obdachlosen nicht im »Kampf fürs Vaterland« gefallen. Sie sind gestorben in ihrem ganz individuellen Kampf um ein menschenwürdiges Leben. Doch die Institutionen, die sich ihrer annahmen, haben ihnen nicht einmal im Tod Respekt gezollt. Keine Büsche oder Blumen oder immergrüner Pflanzenschmuck, nichts als kahle Erde oder Gras und die Steine. Kalt, unpersönlich, gleichgültig. Kein Ort der Trauer und des Gedenkens.
Aber Rainer weiß auch hier mehr: »Das ist schon besser als ein normales Armengrab. Da gibt’s nur Holzkreuze. Und vorher werden die Toten nach Holland gekarrt, weil dort das Verbrennen billiger ist. Oder sie bleiben gleich da und ihre Asche wird verstreut. Das ist noch billiger.«
Ich entdecke an zwei frischen Gräbern Blumenschmuck, Schnittblumen, die langsam verwelken. »Vielleicht Angehörige«, sagt Rainer. »Oder ein Partner aus dem Heim. Das gibt es nämlich auch: Liebe im Petrusheim.«
Das tröstet mich wenig. Der Eindruck von tiefer Trostlosigkeit bleibt. Wir verlassen den Friedhof. Am anderen Ende der »Hauptstraße« liegt die Kirche. Wir gehen hinüber. Ein schwarzes Auto überholt uns, zwei Männer steigen aus und wuchten einen Sarg von der Ladefläche.
»Mein Beileid«, sagt Rainer. »Bringt ihr jemanden?«
»Irgendwer vom Haus«, antwortet einer der Männer. »Packt mal mit an.« Der Sarg ist schwer, er kracht auf den Boden, als wir ihn aus dem Auto herausheben. Rainer mahnt zur Vorsicht und ich frage die beiden, wie sie den Sarg denn hätten allein in die Kirche transportieren wollen. Sie wären mit dem Wagen reingefahren, meinen sie, bis zum Altar, kein Problem. Wir heben den Sarg wieder an, gehen mühsam weiter. Als wir ihn endlich am Altar haben und absetzen, schlage ich vor, eine Kerze anzuzünden, einen Moment zu verweilen, mir geht die Hektik auf die Nerven, mit der hier der Tote abgeladen wird. Es kommt mir vor wie eine Entsorgung von irgendwelchem Müll. Die Männer winken ab und gehen. Wir bleiben noch eine Weile, in uns versunken, und kehren dann auch um.
Im »Dorf« gehe ich noch einmal zum Aushang mit der »Prämien-Information«. Ich hatte so eine vage Erinnerung. Da steht tatsächlich im letzten Absatz unter »Prämien für das Bierabladen und für Beerdigungen«: »Für das Bierabladen gibt es eine Prämie von 2,50 Euro. Für das Sargtragen bei Beerdigungen wird auch eine Prämie von 2,50 Euro gezahlt.«
Bei vielen meiner Begegnungen mit den Gestrandeten und Ausgestoßenen muss ich an Friedrich Nietzsches Gedicht »Vereinsamt« denken:
Die Krähen schrein
Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
Bald wird es schnein –
Wohl dem, der jetzt noch Heimat hat.
Nun stehst du starr,
Schaust rückwärts, ach! wie lange schon,
Was bist du Narr
Vor Winters in die Welt entflohn?
Die Welt – ein Tor
Zu tausend Wüsten stumm und kalt!
Wer das verlor,
Was du verlorst, macht nirgends Halt.
Nun stehst du bleich,
Zur Winter-Wanderschaft verflucht,
Dem Rauche gleich,
Der stets nach kältern Himmeln sucht.
Flieg, Vogel, schnarr
Dein Lied im Wüstenvogel-Ton.
Versteck, du Narr,
Dein blutend Herz in Eis und Hohn.
Die Krähen schrein
Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
Bald wird es schnei ’ n –
Weh dem, der keine Heimat hat!
Franziska, 7 Euro: Ein Selbstversuch – Von Sibylle Hamann
In Ihrem Buch Saubere Dienste – Ein Report (Residenz Verlag) beschreibt die Wiener Journalistin Sibylle Hamann die Welt der haushaltsnahen Dienstleistungen und der Frauen, die dafür zu Niedriglöhnen in Wohnungen und Häuser geholt werden. Putzfrauen, Babysitter, Pflegerinnen, in Privathaushalten. Sie arbeiten hinter
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