Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft
geht am Stock. Warum, das wird er Franziska im Lauf des Tages noch genauer erzählen.
Doch zunächst geht es an die Arbeit. Herr K. drückt mir 50 Euro in die Hand und schickt mich zum Drogeriemarkt, Scheuerpulver und Bleichmittel kaufen. Er schreibt alles genau auf einen Zettel. Den soll ich der Kassiererin zeigen, wenn ich die grüne Plastikflasche im Regal nicht finde. »Sie sollten ein bisschen Deutsch lernen«, ermahnt er mich, »das ist wichtig, sonst betrügt man Sie.« Die Idee, Franziska könne mit dem Geld abhauen und ihn mit der Hausarbeit sitzen lassen, ist ihm gar nicht gekommen. Auch das Wechselgeld zählt er nicht nach, als ich stolz mit der grünen Flasche zurückkomme.
Bleichmittel ist wichtig in diesem Haushalt, denn Herr K. hat es mit der Hygiene. »Immer die doppelte Menge nehmen«, erklärt er, während er mir zeigt, wie die Waschmaschine funktioniert. »Die doppelte Menge« gilt beim Waschpulver, beim Weichspüler, beim Geschirrspülmittel und auch bei der Küchenrolle. Frau D. hatte mir das Putzen mit Küchenrolle noch verboten, »wegen dem Umweltschutz«, und mir verwaschene graue Stofflappen aus alten T-Shirts und zerrissenen Bettbezügen in die Hand gedrückt. Herr K. hingegen beobachtet meine Sparsamkeit mit Belustigung. »Mehr nehmen, doppelt!«, ermuntert er mich.
Während ich in den kommenden Stunden Möbel wische, die frisch gewaschenen Gardinen aufhänge und eine dicke Schmutzschicht von den Rotorblättern des Ventilators kratze, lerne ich Herrn K. ein bisschen kennen. Das Bild an der Wand zeigt eine Straßenszene aus Bagdad, dort ist er geboren. Der Klapptisch mit der kunstvoll gehämmerten Kupferplatte stammt aus dem Iran, von dort stammt seine Frau. Sie heirateten in Wien, als der Iran-Irak-Krieg ausbrach.
Die Journalistin würde sich für diese Geschichte spätestens jetzt zu interessieren beginnen. Doch Franziska, 7 Euro, muss ihre Neugier zähmen, damit sie sich nicht verrät. Herr K. will nicht aufdringlich sein. Er schaut Nachrichten auf ntv. Einige der Meldungen übersetzt er für Franziska, um sie bei der Arbeit zu unterhalten; er nimmt an, dass sie sich weniger für den Aufstand in Syrien und mehr für die Miss-World-Wahl und für intelligente Hunde interessiert. Ab und zu erkundigt er sich nach ein paar Eckdaten aus ihrem Leben (der Mann in Italien, die zwei Kinder bei der Oma in Moldau, der Rest ist Lüge und Improvisation) und gibt im Gegenzug ein paar aus seinem eigenen preis.
Seit 30 Jahren arbeitet Herr K. als Taxifahrer. Vor 15 Jahren fuhr ihm eine junge Frau auf der Kreuzung mitten ins Auto, es war zwei Uhr in der Nacht, sie hatte Rot, sie war betrunken, sie wollte sich umbringen. Das gelang ihr. Doch auch bei Herrn K. hinterließ der Unfall einen Nervenschaden. Das Bein gehorche ihm seither nicht mehr richtig, sagt er. Es sei schwierig gewesen in den Jahren nach dem Unfall. Drei kleine Kinder, Geldsorgen, Schmerzen, Schuldgefühle, immer öfter gab es mit der Ehefrau Streit. Bis sie eines Tages wegging, nach Amerika, die Scheidung einreichte und ihn mit den drei Buben zurückließ, der jüngste war gerade einmal fünf.
Er habe kochen lernen müssen, grinst er, und richtet für Franziska ein Frühstück her. Er habe sich durchgebissen in all den Jahren, er habe sich bemüht, seine Kinder seinen Stress nicht spüren zu lassen und ein guter Vater zu sein; und er sehe schon, so ähnlich gehe es Franziska momentan auch. »Sie sollten die Kinder nicht zu lange allein lassen«, rät er. »Sie sollten schauen, dass Sie hier in Wien in die Schule gehen und etwas lernen.« Wien sei eine gute, sichere Stadt. Ob ich mich schon erkundigt hätte wegen Möglichkeiten, sie nachzuholen? Als ich »Visa « stammle, »illegal« und » Passport «, nickt er besorgt. Herr K. kennt sich aus mit Begriffen wie Arbeitsgenehmigung und Fremdenpolizei. Schließlich war er auch einmal »Ausländer«.
Franziska braust noch die Seidenblumengestecke in der Badewanne ab, zupft die Häkeldeckchen zurecht, wischt die Putzkübel aus und verstaut die Trittleiter. Sie hat hart gearbeitet, das Handgelenk schmerzt schon. Herr K. winkt sie neben sich aufs Sofa, es gibt noch etwas, das er ihr zeigen will. Ein Zeitungsausschnitt. »Das ist das Blatt für die gescheiten Leute«, erklärt er, mit einem Bild von seinem älteren Sohn. Der hat in siebeneinhalb Semestern sein Medizinstudium geschafft und damit den österreichischen Rekord aufgestellt. Heute ist er Neurologe an einem bekannten Wiener Spital.
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