Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft
Der zweite Sohn, sagt Herr K., sei Wirtschaftsinformatiker, der jüngste – er zeigt auf die Tür zum Nebenzimmer – Musiker, der wohnt noch hier.
Franziska lässt die Tür hinter sich ins Schloss fallen, fällt erschöpft in den Sitz der Straßenbahn, nimmt das geblümte Tuch vom Kopf und massiert sich das Handgelenk. Franziska, 7 Euro, freut sich über die 10 Euro Trinkgeld. Ich hingegen, ich schäme mich ein bisschen.
© 2012 Residenz Verlag im Niederösterreichischen Pressehaus
Drucku. Verlagsgesellschaft mbH, St. Pölten – Salzburg – Wien
24 Stunden in der Haut eines Zimmermädchens – Von Géraldine Levasseur
Im Mai 2011 wurde der damalige Geschäftsführer des Internationalen Währungsfonds (IWF), der franzosie Dominique Strauss-Kahn, in New York festgenommen. Der Grund: Verdacht auf Vergewaltigung und sexuelle Belästigung. Naffasitou Diallo, ein Zimmermädchen aus dem Luxushotel, in dem er gewohnt hatte, hatte ihn angezeigt. Die Journalistin und Autorin Géraldine Levasseur und ihre Kolleginnen bei der französischen Zeitschrift Marie Claire wollten daraufhin wissen, wie der Alltag von Zimmermädchen aussieht – und starteten diesen Selbstversuch.
Inkognito begab sich unsere Journalistin in ein Palasthotel an der Côte d’Azur, weil sie die Ehre jener Angestellten wiederherstellen wollte, die durch die Affaire des Dominique Strauss-Kahn auf den Rang von Kammerdienerinnen reduziert wurden.
Vor »der Affaire« mit den amerikanischen Eskapaden des Dominique Strauss-Kahn hat Sie keiner auch nur ein Stück für sie interessiert. Hat sich jetzt, wo die Medienwelle wieder abgeebbt ist, ihre Situation verändert? Nicht unbedingt. Viel ist gesagt worden von Naffisatou Diallo, aber zu wenig über die Realität ihres Jobs. Sie selbst hat daraus keine große Sache gemacht. Wie sieht der Alltag eines Zimmermädchens also aus? Was ist das Besondere daran, als Mitarbeiterin in die Privatsphäre der Zimmer eines Luxushotels einzudringen? Was denken sie über die Welt der Reichen und Mächtigen, mit denen sie jeden Tag Kontakt haben? Dies waren die Fragen, die in unserer Redaktionskonferenz auftauchten. Daher beschlossen wir, das Ganze aus unmittelbarer Nähe zu betrachten. Stets eine tapfere Kriegerin im Dienste der Information, dachte ich, zückte Mopp und Schürze und rief in einem der schönsten Palasthotels der Côte d’Azur an.
8.00 Uhr 94 Zimmer, drei Suiten mit einem Durchschnittspreis von 1000 Euro pro Nacht, zwölf Zimmermädchen, ein gnadenloser Arbeitsrhythmus zur Hauptsaison, imposant und erhaben – so steht mir das »Royal Riviera« in Saint-Jean-Cap-Ferrat gegenüber. Ich trete ein, unter den Blicken der Portiers und Gepäckträger, und wende mich an die Rezeption, um nach Madame Corinne zu fragen, der Hausdame. Sie ist diejenige, die mich empfangen will. Eine blonde, sehr schicke Dame erscheint und merkt direkt an, dass ein Zimmermädchen sich niemals im Empfangsbereich für Kunden zeigt. Sie führt mich sofort in die Untergeschosse des Palasts. Dort ist nichts mehr von der luxuriösen Ruhe der Empfangshalle zu spüren. Hier pulsiert es. In der Küche hagelt es Befehle, die Bügeleisen fauchen über die Wäsche, Dutzende kleiner Hände sind emsig beschäftigt.
8.10 Uhr Durch ein Labyrinth von Korridoren eile ich »Madame Corinne« hinterher, die ziemlich schnell geht und dann in ihr kleines Büro eintritt. Sie erklärt mir: »Ein Zimmermädchen in dieser Art von Hotel muss diskret sein, eine Vorstellung von Luxus haben und sich zur Verschwiegenheit verpflichten.« Sie wirft einen Blick auf meine Arme. »Sie müssen die Armbändchen abnehmen und diese pinke Plastik-Uhr!« Ich diskutiere, weil ich meinen Totenkopfring anbehalten möchte. Er ist mein Glücksbringer. Madame Corinne überlegt und akzeptiert. »Dieser Ring wird bei den Kunden nicht gut ankommen, das ist nicht deren Stil. Ein Zimmermädchen darf nie hübscher sein als der Gast oder schöneren Schmuck tragen als er. Der Gast darf an ihr nichts beneiden. Sie sollten unsichtbar sein.«
8.30 Uhr Ich bin bereit, eine unsichtbare Frau zu werden und für 8,50 Euro pro Stunde jeden Tag zwölf Zimmer zu schrubben. Ich werde täglich acht Stunden arbeiten.
8.45 Uhr Die Wäschefrau gibt mir meine Uniform – ein graues Kleid und eine Schürze. Sie schreibt meinen Vornamen hinein und weist mich an, mich in der Personalgarderobe umzuziehen. Dort begegne ich meinen neuen Kolleginnen: Alle sind dunkelhäutig, haben müde Augen und Fotos von
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