Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft
verschlossenen Türen, mitten in der Privatsphäre der Kunden. Um sich in die Welt der neuen Dienstboten einfühlen zu können, ist Sibylle Hamann unter falschem Namen putzen gegangen. Es ist das erste Kapitel des Buches.
Es ist halb acht Uhr morgens, über die Hauptverkehrsstraße donnert der Frühverkehr. Dreispurig in die eine Richtung, vierspurig in die andere. Die Sonne kämpft sich langsam durch den Smog. Bauarbeiter, Kinder mit Schulranzen, Lieferanten. Vor der U-Bahn-Station werden die Boxen mit Gratiszeitungen neu befüllt. Ich kenne die Gegend gut, aber um diese Zeit war ich noch nie hier. Alles fühlt sich fremd an. Ein entfernter Bekannter zieht zwei Kinder hinter sich her über den Zebrastreifen. Ich erschrecke, drehe mich weg, er schaut kurz durch mich hindurch. Er hat mich nicht erkannt.
Ich sehe anders aus als sonst. Trage Turnschuhe und Jogginghosen. Die ausgebeulten von ganz hinten aus dem Schrank. Die Haare sind unter einem geblümten Tuch versteckt. Ich habe nur einen Straßenbahnfahrschein dabei, ein am Vortag gekauftes Wertkartenhandy und 10 Euro in bar. Keine Handtasche, keine Wimperntusche, keinen Terminkalender, keine Bankomatkarte, kein Smartphone, nichts, was mich verraten könnte. Heute heiße ich Franziska.
Ich bin viel zu früh dran. Beim Lebensmitteldiscounter kaufe ich noch eine in Plastikfolie eingeschweißte Brezel. Wer weiß, wann ich etwas zum Essen bekomme. Drücke mich in den Hauseingang gleich neben dem Pornokino und starre abwechselnd auf das Klingelbrett und auf die Autokolonne, die eben durchdringend zu hupen begonnen hat. Noch zehn Minuten. Zu früh sollte ich nicht läuten. Zu lange sollte ich allerdings auch nicht im Hauseingang herumstehen. Was, wenn mich jemand anspricht? Ich bin nervös. Es ist mein erster Job.
Zwei Stunden später stehe ich zwei Stockwerke über dem brausenden Verkehr, einen Fuß auf dem Fensterbrett, eine dunkelgraue Brühe rinnt mir den Unterarm herunter und alle Angst ist verflogen. Sprühen, wischen, sprühen, wischen, siebenmal hintereinander, ein achtes Mal auch noch, die Brühe rinnt in den Ärmel hinein, aber dann, endlich, hat man den Ruß besiegt. Der Rahmen ist sauber, durch die klare Scheibe strahlt die Vormittagssonne. Ich wische mir mit dem geblümten Tuch den Schweiß von der Stirn und begutachte mein Werk. Ich bin Putzfrau. Ich bin gut. Ich bin stolz auf mich.
»Franziska, 7 Euro«, stand in der Annonce, die mich in diese Wohnung, auf dieses Fensterbrett gebracht hat. Es ging sehr schnell. Alles, was man braucht, um in fremder Menschen Leben einzudringen, sind ein Vorname und eine Handynummer. Dann kann man in einer Gratiszeitung inserieren oder sich auf einer der zahlreichen Online-Plattformen durch die Annoncen klicken. Die Rubriken heißen »Dienstleistungen«, »Privat« oder »Haushalt«. Soll man jedoch unter »Angebot« suchen? Oder unter »Nachfrage«? Mit dieser Begriffsunsicherheit ist man, wie die Inserate zeigen, nicht allein; schließlich bietet der Arbeitgeber einen Job an und die Arbeitnehmerin ihre Arbeitskraft.
Andere Begriffsunschärfen sind schneller durchschaut. »Offenheit für mehr« ist ein ziemlich eindeutiges Codewort; ebenso wenn eine Frau gesucht wird, »die mich und meine Wohnung verwöhnt«. Misstrauen ist angebracht, wenn der angebotene Stundenlohn über 10 Euro liegt, und ebenso, wenn betont wird, wie wenig zu tun sei. Man wird in »eine kaum benützte kleine Zweitwohnung« bestellt, die »gar nicht viel Arbeit macht«? Was soll man dann dort?
Vertrauensbildend ist hingegen, wenn man einen Nachnamen liest. Wenn die Art der Arbeit genau beschrieben wird (Hemden bügeln; das Kind donnerstags aus der Schule abholen; Essen kochen, aber bitte glutenfrei). Vertrauensbildend ist, wenn ein Arbeitgeber viel von sich und seiner Lebenssituation preisgibt. (»Wir sind Chaoten und suchen jemanden, der die Wohnung jeden Freitag in einen besuchsfähigen Zustand bringt – kein Putzen, nur Aufräumen!«; »Wir haben eine lebhafte Zweijährige, demnächst kommt das zweite Kind.« »Ich sitze im Rollstuhl, bin 90 Kilo schwer und brauche Assistenz beim Waschen.«).
Ein paar Stunden, ein paar Tage vielleicht braucht es, um sich auf diesen Tonfall, diese Terminologie einzustimmen. Sich die vielen möglichen Begegnungen vorzustellen und zu überlegen, auf welche davon man sich einlassen will. Man fasst Mut; man beginnt, das Telefon abzuheben, wenn es klingelt; man ruft wildfremde Menschen an und staunt, wie rasch man
Weitere Kostenlose Bücher