Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dreamboys 01 - Tigerjunge

Dreamboys 01 - Tigerjunge

Titel: Dreamboys 01 - Tigerjunge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Janus
Vom Netzwerk:
Es ging mir stets genauso. Mir fiel auf, dass Alain besonders gut rasiert war. Wir rasierten uns immer gründlich in unserer Wohnung in Baripada, weil wir Forscher mit Rauschebärten beide nicht ausstehen konnten.
    Alains Mutter stammte aus der Schweiz, deshalb sprach er gut Deutsch. Ich selbst kam aus Freiburg, war also nahe der französischen Grenze groß geworden und studierte dort auch. Meistens unterhielten wir uns auf Deutsch, bei den fachlichen Sachen reden wir auch öfter englisch oder französisch. Alain war in Südfrankreich geboren und aufgewachsen, seine Eltern bewirtschafteten ein ausgedehntes Weingut. Eigentlich hieß er Jean-Alain, Dr. Jean-Alain de Bresse, aber er wollte immer nur Alain gerufen werden. Er arbeitete an der berühmten Pariser Universität Sorbonne. Ich hatte ihn auf einem Kongress in Zürich kennengelernt. Er war mir vom ersten Augenblick an sympathisch gewesen. Als er mich gefragt hatte, ob ich an dem Tigerprojekt mitarbeiten wollte, hatte ich mich wie ein Lottogewinner gefühlt.
    »Ich habe dir deine Akkus schon auf den Tisch gelegt«, sagte er. »Du hast so fest geschlafen, dass du mich gar nicht gehört hast.«
    »Danke!«
    Da hatte er mich also nackt und spermaverschmiert auf dem Feldbett gesehen! Ich nahm meine Sachen und ging ein gutes Stück in den Dschungel hinein, zur Morgentoilette. Danach sprang ich kurz in den Bach, der neben dem Camp langsam dahinplätscherte. Ich sah mein Spiegelbild auf der Wasseroberfläche: einen jünger als sechsundzwanzig wirkenden, schlanken, sportlichen Mann mit naturblondem, glattem Haar, blauen Augen, hübschem Gesicht mit Dreitagebart und einer gut gebauten Männlichkeit. Wie mochte ich auf den wilden Jungen gewirkt haben?
    Als ich zu den Zelten zurückkam, jetzt in sauberen Shorts und einem khakifarbenen, kurzärmeligen Safarihemd, hatte Alain auf dem Campingkocher ein paar Spiegeleier gebraten. Es duftete sehr appetitanregend. Er war überhaupt ein geschickter Hausmann, im Gegensatz zu mir. Wir setzten uns an unseren Tisch im Freien und aßen schweigend. Ich glaube, mit einem schwatzsüchtigen Partner hätte ich an dem Projekt nicht arbeiten können. Zum Glück dachte Alain da genauso wie ich. Und noch eine Gemeinsamkeit hatten wir: Beide hatten wir uns vor einiger Zeit das Rauchen abgewöhnt. So störte niemand den anderen mit seinem Zigarettenqualm.
    Ein kleiner bunt gefiederter Eisvogel flatterte über unsere Lichtung. Nachdenklich starrte ich ihnen hinterher. Mein Blick schweifte über das halboffene Buschland rings um den idyllischen Bach und die hohen, üppig grünen Bäume, die sich in etwa dreißig Metern Entfernung zu dichtem Dschungel formierten.
    Erst, als Alain sich erhob und das Blechgeschirr zusammenräumen wollte, begann ich zu erzählen.
    »Ich hatte Besuch letzte Nacht.«
    Alain ließ sich wieder auf seinen Feldstuhl fallen. »Ein Tiger?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ein … junger Mann.«
    Er sah mich erstaunt an. »Nachts? Ein junger Mann? Wer denn? Sanjay?«
    »Nein.« Ich berichtete in dürren Worten. So dürr wie möglich. Natürlich erwähnte ich den Ständer des Fremden und meinen Wichs-Exzess nicht. Doch Alain sah mich aufmerksam an dabei, so aufmerksam wie wohl noch nie. Nachdem ich geendet hatte, schwieg er eine Weile. Immer noch ruhte sein Blick nachdenklich auf mir. Ich fühlte mich irgendwie durchschaut.
    »Und du hast ihn wirklich noch nie vorher gesehen?«, fragte er endlich.
    »Ganz bestimmt nicht. Er war … wie eine Naturgewalt.« Das hatte ich nicht wirklich sagen wollen, aber nun war es mir herausgerutscht.
    »Wie war das mit dem Tiger?«, fragte Alain und rieb sich dabei das Kinn, wie er es immer tat, wenn er nachdachte. »Er rief, und der Junge verschwand danach im Wald – oder vorher?«
    »Unmittelbar darauf.«
    »Als würde er auf den Ruf hören?«
    »Ja, genau so.« Ich wusste nicht, was Alain mit seinen Fragen bezweckte. Er brütete minutenlang vor sich hin. Das schmutzige Geschirr hatte er vergessen.
    »Er hörte auf den Ruf …«, murmelte er.
    Ich wartete geduldig auf eine Erklärung und betrachtete dabei sein gut geschnittenes, sonnengebräuntes Gesicht und die schönen, vollen Lippen.
    Alain streckte die langen Beine aus – er war etwa einen Meter neunzig groß –, rutschte im Stuhl vor und fuhr mit der Hand durch sein braunes Haar. »Es gibt immer wieder diese Gerüchte«, sagte er langsam. »Gerüchte von Tigerkindern. Von Menschenkindern, die bei Tigern aufgewachsen sind.«
    Ich sah ihn

Weitere Kostenlose Bücher