Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dreck

Dreck

Titel: Dreck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garry Disher
Vom Netzwerk:
betrachtete sein Spiegelbild aus nächster Nähe. Das Motelzimmer in Melbourne musste für Liliputaner konzipiert worden sein. Jedenfalls hing der Spiegel zu niedrig, das Bett war zu kurz, und immer wenn er duschen wollte, musste er den Kopf weit nach unten beugen, um den Strahl abzupassen.
    Obwohl er sich einigermaßen entspannt fühlte, wirkte sein Gesicht müde und unbeeindruckt. Wenn er arbeitete, wirkte es wach und unbeeindruckt. Er war sechsundvierzig, verdiente sein Geld mit dem, was er am besten konnte, und hatte sich nie besser gefühlt. Die Organisation gab ihm immer Vorschuss, der in etwa seinem früheren Gehalt als ermittelnder Inspektor entsprach, zusätzlich eine Prämie für jeden ausgeführten Auftrag. Sollte er Wyatt aufspüren und kaltstellen, warteten fünfzigtausend Dollar auf ihn. Sie waren ziemlich scharf auf Wyatt. Denn Wyatt hatte sie dort getroffen, wo es am meisten wehtat, er hatte einen ihrer Melbourne-Bosse erledigt und so die größte Transaktion, die je in Melbourne stattfinden sollte, vereitelt.
    Einfach würde es nicht sein den Kerl aufzuspüren. Letterman ging den Auftrag so an, wie er es als Bulle gelernt hatte. Zunächst gab es keine heiße Spur. Die meisten Fälle nahmen eine Wendung während der ersten vierundzwanzig Stunden. Wyatt jedoch war seit sechs Wochen spurlos verschwunden. Offenbar war er ein echter Profi und vermied alle Orte, an denen er sich üblicherweise zeigte. Wahrscheinlich hielt er sich sogar im Grenzgebiet zu anderen Bundesstaaten auf und versuchte, nicht aufzufallen. Doch er hatte so viel Aufruhr und Schaden verursacht und die geballte Aufmerksamkeit der Medien und der Polizei auf sich gezogen, dass die Firma es erst jetzt gewagt hatte, Letterman nach Melbourne zu schicken.
    Auch andere Faktoren waren nicht gerade günstig. Zum einen war davon auszugehen, dass Wyatt es nicht gerade darauf anlegte, aufgespürt zu werden. Das bedeutete, er würde sämtliche Spuren verwischen, gefälschte Papiere benutzen und vermutlich sein Aussehen manipulieren. Er würde nicht einfach so die Straßen entlangspazieren wie ein seniler Rentner, der sie nicht mehr alle beisammen hat. Zum anderen konnte Letterman nicht mehr auf die freundliche Unterstützung früherer Kollegen hoffen. Und drittens schien die Firma in Melbourne nicht gerade beliebt zu sein. Als er vor vier Tagen hier ankam, begann er die Nachricht zu streuen: zwanzigtausend Dollar für den, der etwas über Wyatt ausplauderte. Doch bislang kein Mucks. Wyatt stammte aus Melbourne, das mochte damit zu tun haben.
    Aber der Wink mit den zwanzig Riesen würde schon noch Wirkung zeigen. Letterman kannte das von seiner Arbeit als Bulle. Zehnprozentige Ermittlungsarbeit, neunzigprozentiger Dusel. Er hatte sie am Ende alle gekriegt: Crackdealer, die gerade dabei waren, ihren VW gegen ein Mercedes-Cabrio einzutauschen, Gattenmörder, die sich freiwillig stellten, Einbrecher, die noch am Tatort geschnappt und Bankräuber, die wegen einer hohen Belohnung verpfiffen wurden. Letterman hatte viel Geduld. Zwanzigtausend war viel Schotter.
    Andere Dinge wiederum schienen günstiger. Wenn die Melbourner wirklich so schwer aus der Reserve zu locken waren, dann hatte Wyatt vermutlich keine Ahnung, dass die Organisation hinter ihm her war. Die Bullen, das war klar, aber kein Auftragskiller. Kriminelle gaben ihre guten alten Gewohnheiten nicht so leicht auf. Irgendwann würde er schon wieder an einem seiner Lieblingsorte auftauchen. Irgendwann würde er ein neues Ding drehen. Würde wieder Geld brauchen. Außerdem machte er seine Geschäfte immer auf breiter Basis, er arbeitete oft in Teams, und wer so vorging, konnte nicht für immer untertauchen. Bis dahin würde Letterman eine Politik der kleinen Schritte betreiben, wie früher als Bulle: Wo wurde Wyatt zum letzten Mal gesehen? Wer hat ihn gesehen? Mit wem arbeitet er sonst zusammen?
    Er zog sich das Jackett über und verließ das Motelzimmer. Ein weiterer Vorteil eines Anzugs gegenüber einem T-Shirt oder Pullover bestand darin, dass man praktischerweise eine Knarre darunter verstecken konnte und bei Bedarf ganz einfach an sie herankam.
    Draußen stand sein Mietauto von Avis, ein Fairmont, dessen ausladende Vorderschnauze weit über die Parkmarkierung hinausragte. Wie üblich checkte er vor dem Einsteigen alle Eventualitäten. Er nahm zur Kenntnis, dass ihm keiner auf dem Rücksitz auflauerte, dann öffnete er sehr vorsichtig die Klappe des Kofferraums, um Drähte zu enttarnen, die da

Weitere Kostenlose Bücher