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Dreck: Roman (German Edition)

Dreck: Roman (German Edition)

Titel: Dreck: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vann
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Walnüsse.
    Galen hörte seine Mutter schluchzen, aber es war ihm egal. Er betrachtete die übrigen Fotos und riss sie heraus, eine Seite nach der anderen.
    Hier bist du mit deinem neuen Fahrrad, sagte er, und er riss die Seite heraus. Hier bist du mit einem Hund. Wie hieß der noch mal?
    Schatzi, sagte sie und schluchzte umso heftiger.
    Bloß ein Hund, sagte er, und nicht der Rede wert. Diese Beine sind keine zehn Zentimeter lang. Was war das noch mal für eine Rasse?
    Ein Dackel.
    Ja, stimmt. Was für ein Irrtum der Natur.
    Ich habe Schatzi geliebt.
    Was bedeutet der Name noch mal?
    Liebling.
    Galen riss die Seite raus. Tja, es gibt eine Menge Fotos von dem Liebling, aber nach heute nicht mehr.
    Ich hasse dich.
    Ja, das weiß ich. Das hatten wir bereits. Wird Zeit, zum nächsten Thema überzugehen.
    Ich bin deine Mutter.
    Auch das hatten wir schon.
    Du musst mich rauslassen.
    Und noch so eine olle Kamelle. Ich hatte gehofft, diese Alben durchzukriegen, bevor ich die Ohrstöpsel hole, aber vielleicht brauche ich die früher.
    Du bist ein Monster.
    Ja, ja.
    Du bist nicht mein Sohn.
    Hm, hm. Er betrachtete ein weiteres Foto von Schatzi, unterm Weihnachtsbaum. Seine Mutter im Festtagskleid, das dick aussah, vielleicht aus Samt. Und der große Baum im Wohnzimmer, der zwei Stockwerke hoch war. Lametta und Unmengen von Schmuck und ein Stern obendrauf. Eine Filzdecke darunter und all die Geschenke, Berge von Geschenken. Schatzi mit den Pfoten auf ihr im Bemühen, ihr das Gesicht zu lecken, und sie hatte beide Arme um ihn gelegt, lachte und versuchte, ihr Gesicht vor seiner Zunge zu retten. Es sah beinahe so aus, wie sie behauptet hatte. Beinahe konnte er sich die Familie vorstellen, deren Existenz sie beteuerte. Und vielleicht hatte es schöne Augenblicke gegeben. Vielleicht dehnten sich diese Augenblicke und nahmen die meiste Zeit ein. Vielleicht waren die Schläge und Bevorzugungen und Täuschungen nur gelegentliche Vorkommnisse gewesen, Ausnahmen. Aber das würde er nie erfahren. Seiner Mutter war nicht zu trauen, weil sie zu sehr versuchte, zu mauern und zu leugnen. Seiner Tante war nicht zu trauen, weil sie zu sehr versuchte, zu zerstören. Und seine Großmutter konnte sich nicht erinnern. Diese Fotos waren zu flüchtig, bloße Momente. Sie konnten nicht beschreiben, wie sich ein Tag angefühlt hatte, wie die Stunden auch nur eines einzigen Tages vergangen waren. Und sowieso war das alles Ablenkung, die tiefste Form von Samsara, der Glaube an Zugehörigkeit, der Glaube an Familienbindung, an Ort und Zeit. Die letzte Bindung, die Grundlage für die Illusion des Selbst.

 
 

 

 
    D ie zerknüllten Seiten sahen beinahe aus wie Blumen, groß und glänzend, wie die weißen und dunklen Flächen von Blütenblättern. Riesige tintengefärbte Nelken. Zwei Alben bildeten ein Blumenbeet, das viel größer war als die Haufen aus den Kramschubladen.
    Ich bin Gärtner, sagte er. Ich pflanze eine Familie. Und wenn alle Blumen blühen, begieße ich sie mit Benzin und zünde ein Streichholz an. Und das ist dann endlich Freiheit.
    Du bist ein Teufel, sagte sie.
    Du bist nicht mal gläubig.
    Ich weiß. Aber du bist ein Teufel. Du bist eine Macht des Bösen. Du bist kein Mensch, der fehlgeleitet wurde. Du bist etwas, das dies hier immer in sich getragen hat. Das ist dein Wesen.
    Du kannst nicht an das Böse glauben, wenn du nicht an Gott glaubst.
    Ich kann die Wahrheit erkennen. Ich kann dich erkennen.
    Das Böse gibt es nicht. Es gibt nur Fortschritt durch Gegensätze.
    Du hast Blake nicht mal gelesen.
    Wer ist Blake?
    Blake ist der, dem du immer nachplapperst wie ein Papagei mit dem ganzen Zeug von Khalil Gibran undden anderen. Wärst du aufs College gegangen, wüsstest du das.
    Galen ging zum Tisch, nahm einen der schweren Stühle und warf ihn an die Schuppenwand.
    Damit ist es behoben, sagte seine Mutter. Du bist kein ungebildeter Trottel mehr.
    Galen ging ins Haus, schnappte sich die restlichen Fotoalben und stand einfach da in ihrem Zimmer. Er hatte sich von ihr ablenken lassen. Er hatte endlich seine Meditation gefunden, und schon ließ er sich in etwas anderes verwickeln. Das war das Problem. Sie hatte eine unglaubliche Macht, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen, wie ein Magnet einen Kompass. Indem sie nur den Mund aufmachte, konnte sie alles zerstören.
    Er ließ die Fotoalben auf den Boden fallen. Er musste die Ohrstöpsel finden.
    Sie lagen nicht auf ihrem Nachttisch. Er sah im Bad nach, im Spiegelschränkchen über dem

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