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Dreck: Roman (German Edition)

Dreck: Roman (German Edition)

Titel: Dreck: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vann
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Katalysator. Sie hatte sich selbst eingeschlossen, um seine Aufmerksamkeit zu lenken, um ihm diese Meditation zu schenken. Das war der ganze Sinn und Zweck von all ihrem Streiten und Kämpfen. Aber sie erkannte das nicht. Sie begriff ihre Rolle nicht. Sie versuchte, ihn abzulenken.
    Danke, sagte er. Ich weiß dieses Geschenk zu schätzen.
    Was redest du da?
    Es ist in Ordnung, dass du nicht Bescheid weißt, sagte er. Du bist noch in Samsara gefangen. Du bist eine jüngere Seele.
    Ich bin im Schuppen gefangen, weil du mich hier gefangen hältst.
    Galen nahm noch eine Ladung, die Schaufel wurde leichter, die Bewegung flüssiger. Er hob und warf, achtete auf Muster in der Erde, solange sie durch Zeit und Raum schwebte.
    Galen.
    Er schwebte. Das begriff er jetzt. Er war die Erde. Er sah sich selbst dabei zu, wie er geworfen wurde.
    Was machst du mit der Schaufel?
    Psst, sagte er. Das hier ist wichtig. Ich kann jetzt keine Ablenkung brauchen. Ich bin nah dran.
    Hey!, brüllte sie.
    Aber er achtete nicht auf sie, tauchte die Schaufel tief in die Erde, befeuert jetzt von einer Kraft, die nicht von Muskeln und Knochen herrührte. Er wurde die Tätigkeit selbst. Er war die Erde und die Schaufel und die Bewegung, aber noch mehr. Er war Millionen Meilen weit weg. Diese Hände waren nicht seine Hände. Dieser Atem war nicht sein Atem. Diese Mutter war nicht seine Mutter. Dieser Galen war nicht Galen. Er musste das alles loslassen, die Bewegung kommen lassen, bindungslos.
    Die Finger seiner Mutter an der Lücke zwischen Holz und Boden, weiße Finger, die den Erdhaufen wegschoben, und noch mehr Erde schwebte durch die Luft, durch die Zeit, auf diese Finger, die begraben wurden und wieder auftauchten, ein schöner Tanz, eine immer schon bekannte und gebotene Bewegung.
    Die Erde wurde tiefer und türmte sich am alten Holz, und ihre Finger krochen zur Seite, zum Rand des Haufens, fanden einen größeren Spalt, ein ganzer Handrücken zeigte sich, und noch mehr Erde schwebte darauf, begraben jetzt, und noch eine Schaufelladung, und seine Mutter schrie, ein Laut, der gedämpft wurde, ein Laut,der sich verwandelte, ein Laut, der zwischen Erde und Luft gewogen und geschaukelt wurde und begraben und nochmals begraben.

 
 

 

 
    D iese Meditation wurde zur längsten in Galens Leben, der ausdauerndsten, schönsten. Die Schaufel im Boden, der Schwung, die Erde, die in der Luft verharrte und dann fiel und die Lücke zwischen Holz und unbestelltem Boden füllte, die Lücke zwischen Mensch und Erde, zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Selbst und Wahrheit. Die alten Bretter darüber Sinnbild all dessen, was vergänglich war, löchrig und verwitternd, an der Schnittstelle zu allem darunter, was von Dauer war, und die neue Erde eine Brücke, die Unterschiede auflöste.
    Seine Mutter ein beständiges Geräusch, eine Begleitung, eine Wertschätzung der Bewegung. Ihre Finger im Spalt, Unterschiede betonend im Bemühen, die Welt zu teilen, dann wieder begraben, ein steter Fortschritt durch Gegensätze. Die Öffnung des Spalts und dann das Füllen, das Verschwinden.
    Galen spürte die rissigen Hände, die heißen Blasen, die wuchsen und aufplatzten und suppten, und in Schüben den rohen Schmerz, der wieder abebbte, und Galen selbst blieb weit weg, beobachtete das alles, blieb bei seinem Atem. Die Hitze hatte sich schwer um ihn gelegt, strahlte vor allem von seinem Schädel ab, und er zog sein T-Shirt aus, verpasste höchstens ein, zwei Ladungen und war sofort wieder drin im Schwung der Schaufel, in derBewegung. Seine Haut jetzt der Sonne ausgesetzt, und er spürte jeden einzelnen Strahl wie einen Pfeil durch Raum und Zeit, vom Ursprung der Welt, ein Licht nicht nur von unserer Sonne, sondern von allen Sonnen, die nun seinen Rücken fanden und seine Haut stachen, und die Benommenheit und die Stiche ein Geschenk, keine Ablenkung. Sie erhöhten seine Konzentration.
    Er wollte etwas trinken, aber das musste warten. Das war nur Samsara, Ablenkung, und hier hatte er seine letzte Meditation zu überstehen. Er würde sie bis zum Ende durchstehen, über diese Inkarnation hinaus, über unzählige Inkarnationen hinaus, über alles hinaus, was ihn zurückhielt, wenn er nur dranblieb.
    Aber da sprach der Stolz. Er musste aufhören, die Meditation als Leistung zu betrachten. Er musste aufhören zu bewerten. Er musste sich auf die Erde konzentrieren, auf jedes Körnchen. Auf die Oberfläche, weißer dort, wo die Sonne sie ausgeblichen hatte, dunkler

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