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Dreck: Roman (German Edition)

Dreck: Roman (German Edition)

Titel: Dreck: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vann
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letzten Mal wäre ihr Zimmer ihr Zimmer, da schien es angebracht, einen Moment lang innezuhalten. An den Anblick würde er sich später einmal erinnern wollen.
    Mom, sagte er. Mom. Er probierte den Klang des Wortes, die Ballung all dessen, was die Illusion ausmachte. Dieses Zimmer gehörte dazu, dieses Zimmer, das eineVergangenheit behauptete, bis zurück in ihre Kindheit. Es war alles Illusion, aber mit überzeugendem Gewicht. Alles aus jener Zeit: die alten Holzspielzeuge, die Kleidung, selbst ihre Kinderzeichungen an den Wänden, von einem Haus und einer Familie, vier Menschen, die sich unter einer riesigen Sonne an den Händen hielten. Die verzerrte Sonne hätte ein Hinweis sein sollen.
    Auf dem Regal ihre Fotoalben. Er schnappte sich zwei ältere mit weißen Deckeln wie ausgeblichenes Linoleum und ging hinaus auf den Rasen.
    Hab hier ein paar Alben, sagte er. Gute alte Zeit.
    Lass die Finger davon.
    Ziegen, sagte er. Viele Ziegen, dort drüben in der Plantage, und du im Sommerkleid.
    Ich habe keine Abzüge davon, Galen.
    Die Ziegen blickten in die Kamera, posierten neben Galens Mutter und Tante. Seine Tante älter, viel größer und ohne Schleife im Haar. Sie sah bereits unglücklich aus. Seine Mutter mit dem goldigsten Lächeln, kokett, der Kopf leicht zur Seite geneigt. Du warst ein bisschen wie Shirley Temple, sagte er.
    Leg sie weg, Galen.
    Hast du versucht, wie sie zu sein? Versuchst du immer noch, wie sie zu sein, wenn du so affektiert tust?
    Galen wartete, aber seine Mutter antwortete nicht. Schon gut, sagte Galen. Ich weiß, dass du nicht reagierst, wenn es um was Echtes geht. Die goldigen Momente sind etwas Heiliges, über das man nicht sprechen kann. Er riss die Seite aus dem Album und zerknüllte sie, Karton und Fotos und dünne Plastikfolie.
    Nein!, schrie sie. Hör sofort auf damit.
    Das macht Spaß. Der Schuppen gefällt mir. Ich kann tun, was ich will. Ich hoffe, du klebst an den Ritzen zwischen den Brettern, damit du alles sehen kannst. Wäre doch jammerschade, das zu verpassen.
    Du bist schlimmer als jede Phantasie, schlimmer als alle Worte. Ich habe keine Worte für dich.
    Versuch's mal mit Sohn. Das Wort Sohn wäre eine Möglichkeit. Hier ist ein Foto von den Walnüssen. Die Scheißwalnüsse und alle Trockengestelle ausgebreitet.
    Tu das weg.
    Grandma und Grandpa sind hier gar nicht so alt. Ich kann mir fast vorstellen, dass sie ein echtes Leben hatten und nicht bloß Leute waren, die schon alt geboren wurden.
    Sie hatten ein echtes Leben.
    Keine Ahnung, sagte er, aber auf diesem Foto wirkt es so. Das Problem ist, dass es auf nichts eine Antwort gibt. Warum hat er sie geschlagen? Warum hat er die ganze Zeit gearbeitet? Wie hat sie ihr Gedächtnis verloren?
    Du redest von ganzen Leben. Keiner kann ein ganzes Leben erklären.
    Wow. Du redest mit mir über deine Eltern, mehr oder weniger. Das ist neu.
    Ich habe immer von ihnen erzählt.
    Nein, hast du nicht. Du hast nie irgendwas Aufrichtiges über irgendwas Wichtiges gesagt.
    Galen.
    Stimmt doch. Warum hat er sie geschlagen?
    Er hat sie nicht geschlagen.
    Siehst du?
    Das war alles nicht so, wie du denkst.
    Na, dann klär mich auf.
    Wir waren eine Familie.
    Nein. Genau das wart ihr nicht. Weil das Wort Familie dir viel bedeutet, und deine Familie hat auf dieses Wort nie gepasst. Weißt du, was komisch ist an dem Bild mit den Walnussgestellen?
    Keine Antwort von seiner Mutter. Komisch ist, fuhr er fort, dass sie immer noch arbeiten. Sie unterbrechen ihre Arbeit nicht fürs Foto. Sie sehen nur kurz mal hoch. Beugen sich aber immer noch über die Gestelle. Und die Gestelle sind unendlich. So war das Leben deines Vaters. Bloß Arbeit, die sich in alle Richtungen unendlich ausbreitet, Arbeit als Selbstzweck und sonst nichts. Keine Familie.
    Ich war dabei, also weiß ich Bescheid. Wir waren eine Familie, und wir haben nicht nur gearbeitet. Dad hat Akkordeon gespielt und Mom Klavier, und wir haben gemeinsam gesungen.
    Grandma spielt Klavier?
    Ja. Du weißt nämlich fast gar nichts.
    Okay. Sagen wir also, ich will an diese Familie glauben. Dann muss ich noch immer alles zusammenfügen. Warum hat er sie geschlagen?
    Zum Teufel mit dir. Hat er nicht.
    Galen riss das Foto aus dem Album und zerknüllte es.
    Halt! Ihre Stimme brach, rau und erschöpft.
    Schone deine Stimme, sagte er. Das Foto ist kein Verlust. Schließlich ist das alles nicht passiert. Er hat sie nichtgeschlagen, und es gab keine Familie, und es gab keine Trockengestelle, keine

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