Drecksspiel: Thriller (German Edition)
Wohnungstür. Im Korridor hatten sich Streifenbeamte postiert.
»Guck mal«, lachte Luke. »Die Polizei.«
*
Hannah versuchte ihren Fuß aus dem Erdloch zu befreien. Je verbissener sie mit ihrem Bein ruckte, desto mehr versank sie in die Tiefe. Lehm umschloss den Fuß wie Beton.
Bleib ruhig, versuch es noch einmal.
Sie holte Luft. Ein Ruck …
Streng dich an!
… und ihr Bein war frei. Hannah taumelte rückwärts und landete auf dem Po. Den Schmerz spürte sie kaum, so erleichtert war sie. Dann allerdings stockte ihr der Atem, als sie nach ihrer Tochter sah. Millies winziger Körper bibberte. Ihr Gesicht war ganz bleich. Ihr Atem ging leise, fast unhörbar.
»Mein Würmchen«, bangte Hannah, »halt durch, bitte.«
Sie hatten nicht all die Qualen überstanden, nur damit Millie jetzt, wo sie endlich diesem Scheißkerl entkommen waren …
Nein!
Hannah sträubte sich gegen den Gedanken. Gegen ihre Tränen konnte sie nichts ausrichten. Zum ersten Mal ließ sie ihnen freien Lauf.
»Millie«, heulte sie, »bitte … gleich haben wir es geschafft.«
Sie mühte sich auf die Beine. Ihrem mit Lehm verschmierten Fuß fehlte der Flipflop. Er steckte noch im Erdloch fest.
Hannah wollte sich danach bücken, aber sie hatte Angst, sich nicht noch einmal aufrichten zu können. Also versuchte sie, den Schuh mit ihren Zehen aus dem Dreck zu friemeln. Es gelang ihr nicht.
Lass ihn stecken! Lauf weiter!
Doch Hannah wollte nicht auf den Schuh verzichten. Die Flipflops mochten ein unpraktisches Schuhwerk für eine Flucht durch den regennassen Wald darstellen, aber sie waren immer noch besser, als sich von spitzen Ästen oder Dornen die Fußsohlen zerstechen zu lassen.
Ihre Füße waren so ungefähr das Einzige, was sich noch heil an ihr anfühlte. Wiederholt wurde ihr schwindelig, während sie versuchte, den widerspenstigen Flipflop aus der Erde zu ziehen.
»Ja, verdammt«, schrie sie, als es ihr endlich gelang und sie ihren Weg fortsetzen konnte.
Jeder neue Schritt kostete sie Kraft. Kraft, die sie nicht mehr hatte. Aber sie durfte nicht noch einmal Pause machen.
Denk an Millie!
»Bald haben wir es geschafft!«, stieß Hannah hervor. Sie war sich nicht sicher, wem sie da Mut zusprach – ihrer Tochter oder sich selbst?
Sie sah Millie an, die in ihren Armen schaukelte. Millie, die so bleich war. Und so still. Sie musste ihre Tochter ins Warme bringen. In Sicherheit. Sofort! Hannah schaute wieder nach vorne.
Eine zornige Gestalt streckte die Arme nach ihr aus, ein Messer in der einen Hand, die Rolle Klebeband in der anderen.
Sechsundzwanzig
David fuhr über die Prenzlauer Promenade stadtauswärts.
Obwohl andere PKWs ihn fortwährend überholten, hielt er sich streng an das Tempolimit. Sogar als sich die hell erleuchteten Fastfood-Riesen und Baumärkte im Rückspiegel zu einem Lichterbrei vermischten und dieser gleich darauf von den Schallschutzmauern der A114 verschluckt wurde, beschleunigte er den Clio kaum.
Am Dreieck Pankow neigte sich der Wagen in die langgezogenen Kurven. Angespannt behielt David die Autobahn hinter sich im Auge.
Als er davon überzeugt war, dass niemand ihm folgte, nahm er die Auffahrt zurück nach Berlin.
Sicher ist sicher.
Er tippte die Wahlwiederholung seines Handys. Zweimal ertönte das Freizeichen, dann wurde sein Anruf weggedrückt. Er versuchte es erneut, mit dem gleichen Ergebnis. Erst als sich die Schilder zur Abfahrt Bucher Straße in den Lichtkegel seiner Scheinwerfer schoben, nahm Peter endlich ab.
David fragte: »Ich dachte, du wolltest dich melden?«
»Das hätte ich auch getan, morgen früh.«
»Ich brauche die Informationen über Janowski jetzt.«
»Ich habe aber Feierabend.« Peter klang wie ein trotziges Kind.
David ließ ihn schmollen. Er warf einen Blick in den Rückspiegel, bevor er von der Autobahn zur Pasewalker Straße ausscherte.
»Okay«, seufzte Peter. »Ich ruf dich gleich zurück.«
»Gleich?«
»Halbe Stunde oder so.«
»Es ist wichtig.«
»Ja, hab ich kapiert. Trotzdem muss ich erst einmal die Kinder ins Bett bringen.« Peter unterbrach die Verbindung.
David fuhr die Zimbelstraße zweimal hoch und runter. Er sparte auch die Seitenstraßen nicht aus. Ein Auto mit verdächtigen Insassen fiel ihm nicht auf.
Er hielt vor einem kleinen Backsteinhaus, das sich im Laternenlicht kaum von den Nachbargebäuden unterschied. Im Vorgarten standen Obstbäume in voller Blüte. Allerdings waren die Pflaumen und Äpfel seit Tagen nicht geerntet worden.
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