Drecksspiel: Thriller (German Edition)
Sie dämmerte mit geschlossenen Augen vor sich hin.
»Papa fühlte sich zu alt«, platzte es aus Susanne heraus. »Er wollte nicht mehr. Zumindest hat er das gesagt.« In ihren Worten schwang Verbitterung mit. »Aber in Wahrheit wollte man ihn nicht mehr. Man hat ihn fallen lassen, nach allem, was er geleistet hat. Er hat nicht viele Worte darüber verloren. Aber es hat ihn schwer getroffen.«
Ihre Mutter öffnete die Augen. Erstaunt wechselte ihr Blick von ihrer Tochter zu David.
»Er hat das nie richtig überwunden«, sagte Susanne.
Horsts Witwe gab ein Brummen von sich. »Er war immer so traurig.«
Susanne nickte.
»Das hat er nicht verdient«, sagte ihre Mutter. »Er war …« Sie erschrak, als ein kleiner Tischwecker piepte.
»Mama, es ist Zeit für deine Tabletten. Warte, ich hole dir frisches Wasser.« Mit dem leeren Glas in der Hand ging Susanne nach nebenan in die Küche.
»Und Sie?«, fragte Horsts Witwe. Unvermittelt rutschte sie dichter an David heran. »Sie sind doch deshalb hier, oder?«
»Wie bitte?«
»Weil Sie es auch nicht glauben. Horst ist nicht einfach von der Brücke gesprungen, oder?«
*
Gefolgt von seinem Kollegen brachte Toni seine Söhne zur Wohnung gegenüber. Der Fernseher der alten Bodenbender dröhnte raus bis auf den Flur. Es roch nach gedünstetem Kohl.
Jeremy rümpfte die Nase.
Luke stellte fest: »Hier stinkt’s.«
»Du gewöhnst dich dran«, sagte Toni und drückte die Klingel.
Nichts geschah.
Er versuchte es erneut, presste den Finger fest auf den Knopf. Endlich wurde der Fernseher leiser gestellt. Schritte schlurften mühevoll heran. Eine zittrige Stimme fragte: »Wer ist denn da?«
»Ich bin es. Herr Risse.«
Es dauerte, bis seine Nachbarin alle Schlösser entriegelt hatte. Ihr kleiner, greiser Körper versank unter dem weinroten Morgenrock, die weißen Strümpfe in den Goldpantoletten. »Haben Sie …?«
»Frau Bodenbender, ich brauche Ihre Hilfe. Sie müssen auf meine Jungs aufpassen.«
Ihr faltiges Gesicht wurde noch runzeliger. »Aber …«
»Nur bis meine Exfrau sie abholen kommt, geht das?« Ohne auf ihre Antwort zu warten, marschierte Toni an ihr vorbei in die Diele. Der Kohlgestank wurde intensiver, je näher sie der Küche kamen.
»Ich will hier nicht bleiben«, protestierte Jeremy.
Toni brummte. »Ich will auch so vieles nicht.«
»Ich muss mal«, meldete sich Luke.
Toni blieb stehen. »Du musst groß, oder?«
Sein Sohn nickte zaghaft.
»Jeremy«, sagte Toni, »geh doch schon mal mit Frau Bodenbender ins Wohnzimmer.«
»Aber ich …«
»Bestimmt kannst du bei Frau Bodenbender auch die Transformers gucken!«
Die alte Frau runzelte die Stirn. Aber Jeremy war schon auf dem Weg in die Stube, wo in einem Einbauschrank ein steinzeitlicher Röhrenfernseher flackerte.
Toni trug seinen Sohn ins Badezimmer, ein kleiner Raum, vollgestellt mit Gerümpel. Die Toilette hatte noch eine Druckspülung.
Toni wollte die Tür hinter sich zuziehen, aber Blundermann steckte den Fuß dazwischen.
»Ach komm«, beschwerte sich Toni.
Blundermann fixierte ihn streng.
Toni seufzte resigniert, hob den Klodeckel hoch, zog Luke die Hose runter und setzte ihn auf die Brille.
Der Junge kniff die Augen zusammen, drückte die Lippen aufeinander, gab ein pressendes Geräusch von sich. Ein leiser Pups tönte in der Kloschüssel. Luke errötete.
»Papa«, druckste er. »Ich kann nicht, wenn der Mann zuguckt.«
Toni drehte sich vorwurfsvoll zu Blundermann um. Der erwiderte den Blick. Schließlich verzog er das Gesicht und schloss die Tür.
Toni hob seinen Sohn von der Kloschüssel und klappte den Deckel runter.
»Aber ich muss mal«, protestierte Luke.
»Schscht!«, machteToni und betätigte die Druckspülung. Das laute Rauschen übertönte das hölzerne Knarzen des alten Fensterrahmens.
»Papa?« Luke betrachtete das Treiben seines Vaters mit großen Augen.
Toni flüsterte. »Wenn ich zurückkomme, dann spielen wir Zirkus.«
»Ehrlich?«
»Versprochen!« Er zwängte sich durch das Fenster zum Innenhof.
*
David bemerkte die Angst in den Augen der alten Frau. Horst ist nicht einfach von der Brücke gesprungen, oder?
Er fragte: »Wie kommen Sie darauf?«
Sie rückte noch dichter an ihn heran. Er roch Franzbranntwein, der kaum das Alter und ihre Krankheit überdeckte. »In letzter Zeit war er …«
»Mama!« Ihre Tochter tauchte im Küchendurchgang auf. »Was erzählst du da?«
»Ich sage nur, dass dein Vater …«
»Ach, Mama, bitte!« Susanne knallte
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