Drei Dichter ihres Lebens
Gotte Merkur.
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1803, Paris. Wieder in einer Mansarde des fünften Stockes, wieder in Zivil. Der Säbel ist fort, die Sporen und Schnüre, das Leutnantspatent in die Ecke geschmissen. Er hat genug bekommen vom Soldatenspielen, genug zum Erbrechen – »J'en suis soûl.« Kaum daß die Narren ihm zumuteten, ernstlich Garnisondienst zu machen in schmierigen Dörfern, sein Pferd zu striegeln und Gehorsam zu leisten, hat Henri Beyle Reißaus genommen. Nein, Gehorsam zu leisten ist nicht dieses Eigenwilligen Sache, sein höchstes Glück, »niemandem zu befehlen und niemandes Untergebener zu sein«. So hat er dem Minister ein Brieflein geschrieben mit seiner Demission und gleichzeitig eins an den strenggeizigen Vater, er möchte mit etwas Geld herausrücken, und der Vater, den Henri in seinen Büchern auf das saftigste verleumdet hat (und der seinen Sohn wahrscheinlich in derselben ungeschickten und verhaltenen Weise liebt wie jener die Frauen), der »father«, der »bâtard«, wie ihn Henri in seinen Aufzeichnungen immer höhnisch nennt, sendet wirklich allmonatlich Geld. Nicht viel allerdings, aber doch genug, daß man sich einen leidlichen Anzug machen lassen kann, pompöse Krawatten kaufen und weißes Schreibpapier, um darauf Komödien zu dichten. Denn neuer Entschluß: Henri Beyle will nicht mehr Mathematik studieren, sondern dramatischer Dichter werden.
Zunächst tut er dies in der Weise, daß er häufig in die Comédie Française geht, um bei Corneille und Molière zu lernen. Dann zweite Erfahrung, sehr wichtig für einen zukünftigenDramatiker: man muß Kenntnis der Frauen gewinnen, man muß lieben, geliebt werden, eine »belle âme«, eine schöne Seele, eine »âme aimante« finden. Er macht also der kleinen Adèle Rebouffet den Hof und genießt die romantische Lust des unglücklichen Liebhabers bis zur Neige; glücklicherweise tröstet ihn die üppige Mutter (wie er im Tagebuch notiert) einige Male in der Woche auf irdische Weise. Das ist amüsant und lehrreich, aber immerhin noch nicht die rechte, die schwärmerische, die große Liebe. So sucht er unentwegt das erhabene Idol. Schließlich fesselt Louason, eine kleine Schauspielerin an der Comédie Française, seine immer brodelnde Leidenschaft und duldet seine Huldigungen, ohne zunächst mehr zu erlauben. Aber nie liebt Henri besser, als wenn eine Frau sich ihm verweigert, denn er liebt nur das Unerreichbare, und bald steht der Zwanzigjährige in Flammen.
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1803, Marseille. Überraschende Verwandlung, unglaublich fast.
Ist das wirklich Henri Beyle, Exleutnant der Napoleonischen Armee, Pariser Dandy und gestern noch Dichter? Ist er das wirklich, dieser schwarz beschürzte Kommis in dem engen Erdgeschoß der Firma Meunier & Cie, Kolonialwaren en gros & en détail, der da auf dem Schreibbock sitzt in dieser schmuddeligen Gasse links am Hafen von Marseille, in diesem dumpf nach Öl und Feigen riechenden Gewölbe? Ist es wirklich die sublime Seele, die gestern noch in Versen die erhabensten Gefühle reimte, die da heute Rosinen und Kaffee, Zucker und Mehl verschleißt, Mahnungen an die Kunden schreibt, auf Zollämtern mit den Beamten schachert? Jawohl, er ist es, der Rundkopf, der Hartkopf. Hat sich Tristan als Bettler verkleidet, um der geliebten Isolde zu nahen, und haben Königstöchter das Pagenkleid angetan, nur um dem trauten Ritter in den Kreuzzug zu folgen – er, Henri Beyle, hat Heroischeres vollbracht, er ist Kommis geworden in einem Kolonialwarengeschäft, Bäckergehilfe und Ladenschwengel, um seine Louason zu begleiten, die hier ans Theater in Marseille engagiert ist. Was tut es, tagsüber sich mit Zucker und Mehl die Finger zu stauben, wenn man abends eine Schauspielerin aus dem Theater abholen und als Geliebte ins Bett führen kann?
Herrliche Zeit, herrliche Erfüllung! Aber leider wird einem Romantiker nichts gefährlicher, als seinen Idealen allzu nahe zu kommen. Man entdeckt dann, daß Marseille, die erträumte Südstadt, eigentlich genauso provinzlerisch ist unter den lärmenden Gesten der Meridionalen wie Grenoble und seine Straßen so stinkig und schmutzig wie jene von Paris. Und selbst, wenn man mit der Göttin seines Herzens lebt, kann man die enttäuschende Erfahrung machen, daß diese Göttin zwar noch immer schön, aber herzlich dumm ist, und man wird anfangen, sich zu langweilen. Schließlich wird man sogar froh sein, wenn eines Tages der Göttin am Theater gekündigt wird und sie als Wolke nach Paris entschwebt: man wird von
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