Drei Dichter ihres Lebens
einer Illusion geheilt sein, um sich unermüdlich morgen die nächste zu suchen.
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1806, Braunschweig. Abermaliger Kostümwechsel.
Wiederum Uniform, aber nicht mehr das grobe Kommiß des »sousoff«, das nur Ansehen findet bei Marketenderinnen und Nähmamsellen. Jetzt sausen die Hüte der deutschen Honoratioren respektvoll von den Köpfen, wenn der Intendant-Stellvertreter der Großen Armee, Monsieur l'intendant Henri Beyle, mit Herrn von Strombeck oder irgendeinem andern illustren Vertreter der Braunschweiger Gesellschaft durch die Straßen schreitet. Aber nein, es ist ja nicht mehr Henri Beyle, man beliebe, eine kleine Korrektur zu machen: seit er in Deutschland ist und in so würdiger Stellung, unterzeichnet er: Herr von Beyle, »Henri de Beyle«. Zwar hat ihm Napoleon nicht den Adel verliehen, nicht einmal eine kleine Ehrenlegion oder sonstigen Knopflochschmuck; aber Henri Beyle, ein geschwinder Beobachter, merkt, daß die braven Deutschen auf Titel fliegen wie Finken auf den Leim; und man will doch nicht in der adeligen Gesellschaft, wo einen allerhand hübsche und appetitliche Blondinen zum Tanz locken, als banaler Bürger gelten: zwei solche Buchstaben aus dem Alphabet zaubern zur pompösen Uniform noch einen besonderen Nimbus.
Peinliche Missionen sind eigentlich Herrn Beyle zugedacht. Er soll noch sieben Millionen Kriegskontributionen aus dem weidlich geplünderten Sprengel herauskratzen, Ordnung halten und organisieren; er tut es anscheinend geschickt und geschwind mit der linken Hand, die rechte aber hält ersich frei, um Billard zu spielen und das Jagdgewehr einzuschießen, und für noch zartere Vergnügung. Denn auch in Deutschland gibt es angenehme Weiblichkeit. Gegen ein blondes und adeliges Minchen kann er seine platonischen Liebesbedürfnisse entladen, und die gröberen entlastet die gefällige Freundin eines Freundes, mit dem schönen Namen Knabelhuber geziert, tröstend des Nachts: so hat sich's Henri wieder bequem gemacht. Ohne Neid auf alle Marschälle und Generale, die an der Sonne von Austerlitz und Jena ihr Süppchen kochen, sitzt er still im Schatten des Krieges, liest Bücher, läßt sich deutsche Verse übersetzen und schreibt wieder wunderschöne Briefe an seine Schwester Pauline, immer wissender, immer meisterlicher sich zum Lebenskünstler entfaltend, nachzüglerischer Tourist auf allen Schlachtfeldern, intellektueller Dilettant aller Künste und immer mehr frei und sich selber nahe, je weiter er die Welt kennen und je besser er sie beobachten lernt.
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1809, Wien, 31. Mai. Schottenkirche, dunkel und halb leer, frühmorgendlich.
In der ersten Bank knien in schwarzen, ärmlichen Trauerkleidern ein paar alte Männlein und Weiblein: die Verwandten des guten Papa Haydn aus Rohrau. Daß die französischen Brandkugeln plötzlich in sein geliebtes Wien sausten, hat den braven, den windschiefen zittrigen Greis zu Tode erschreckt: der Komponist der Volkshymne ist patriotisch gestorben mit den gestammelten Worten: »Gott erhalte Franz den Kaiser!«, und sie haben den kindleichten Leib von dem kleinen Haus in der Gumpendorfer Vorstadt, mitten im Tumult der einrückenden Armee, ganz eilig und hastig auf den Gottesacker führen müssen. Nun halten nachträglich die Musiker Wiens in der Schottenkirche ihrem Meister feierliche Totenmesse. Eine stattliche Anzahl hat sich ihm zu Ehren aus den okkupierten Häusern herausgewagt; vielleicht steht unter ihnen auch der kleinbeinige Sonderling mit dem wirren, fahrigen Löwenhaupt, der Herr van Beethoven, vielleicht singt unter den Buben im Chor droben ein kleiner zwölfjähriger Bub aus dem Lichtental, der Franz Schubert heißt. Aber niemand hat jetzt des andern acht, denn plötzlich tritt in voller Uniform ein anscheinend hoher französischer Offizier herein, begleitet von einem zweiten Herrn im gestickten Galakleid derAkademie. Alle schrecken sie unwillkürlich auf: wollen am Ende die französischen Eindringlinge verbieten, daß man dem guten sanften Vater Haydn hier eine letzte Ehrung bringt? Nein, durchaus nicht: Herr von Beyle, Auditor der Grande armée, erscheint vollkommen privat, er hat irgendwo im Quartier gehört, das Requiem Mozarts sei angesetzt für diese Feier. Und um Mozart oder Cimarosa zu hören, würde dieser zweifelhafte Kriegsknecht hundert Meilen zu Pferde reiten, denn ihm gelten vierzig Takte dieser geliebten Meister mehr als eine pompöse, welthistorische Bataille mit vierzigtausend Toten. Behutsam tritt er in die Kirchenbank
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