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Drei Eichen (German Edition)

Drei Eichen (German Edition)

Titel: Drei Eichen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Vorndran
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einen mittelgroßen Kassettenrekorder unter seiner Kleidung versteckt hielt, entging den Wahlbeamten in dem Gedränge, und so erklang um Punkt achtzehn Uhr aus einer der Wahlkabinen Musik, die vom infernalischen Gesang eines Mannes begleitet wurde. Er hatte eine bekannt-berüchtigte Weise umgedichtet und wollte diese nun offensichtlich zum Besten geben: »Franken, Franken über alles, über alles in der Welt!«
    Der Erste, der seine Fassung wiederfand und reagierte, war der zuständige Leiter des Wahlraumes, Kreisrat Benno Eisenhardt. Als der stadtbekannte Sänger bei der Zeile Von der Itz bis an die Altmühl angelangt war, riss ihm der Geduldsfaden, und er zerrte den immer lauter singenden Mann aus seiner Wahlkabine hervor.
    »Ich glaub, dir geht’s nicht gut!«, brüllte Eisenhardt die verblüffte Lärmquelle an, die sich unversehens mehr oder weniger in der Horizontalen befand.
    In der Hand hielt der Sänger seinen ausgefüllten Wahlzettel. »Ihr könnt mich net am Wählen hindern«, protestierte er umgehend. »Des is mei gutes Recht! Lass mich los, sonst ruf ich die Polizei!«
    Selbst wenn er nicht sang, war die Stimme des Mannes unerträglich schrill, sodass ihn Eisenhardt wegen des schmerzhaften Schalldruckes, der auf seine Ohren wirkte, loslassen musste. »Isjagutisjagut!«, rief der Kreisrat verzweifelt und hielt sich wie alle anderen im Raum die Ohren zu. »Wählen darfst du, aber nicht singen!« Er musste seine Stimme erheben, um den noch immer plärrenden Kassettenrekorder zu übertönen. Der so Gescholtene stand auf, blickte wild um sich, dann nahm er seinen Wahlzettel und hielt ihn bedeutungsvoll über den Schlitz der Urne, während hinter ihm endlich jemand den Lautsprechern den Saft abdrehte. Eigentlich hätte er nur noch den Zettel einwerfen und gehen müssen, dann hätte der Tag im Wahlraum für alle Beteiligten ein friedliches Ende genommen, doch der in seinem Sängerego Gekränkte konnte es nicht lassen: »… von der Rhön bis zu die Schwaben, über alles in der Welt!«
    Das war’s. Eisenhardt und zahlreiche Umstehende packten den Poeten und beförderten ihn unsanft neben sein Fahrrad auf den Coburger Marktplatz. Die zufällig anwesende Journalistin der Coburger Neuen Presse, Gabi Habermann, schoss sofort eine Bilderserie des wütenden Sängers, der bereits mit Anwalt, Tod und Teufel drohte. Er fuchtelte noch eine Weile wild mit seinem nicht eingeworfenen Wahlzettel herum, stieg dann aber schlussendlich doch auf sein klappriges Rad und entschwand durch die nächste Gasse der Coburger Altstadt, indem er lauthals die neue »frankierte« deutsche Nationalhymne sang.
    Bekannter Coburger Mitbürger am Wählen gehindert! Gabi Habermann wusste schon, wie die witzig gemeinte Schlagzeile am nächsten Tag lauten würde. Doch jetzt würde sie erst einmal in die Redaktion eilen und die neuesten Nachrichten sehen. Schließlich war sie selbst gespannt, wie die Wahl ausgehen würde.

Epilog 2
    Um Punkt zweiundzwanzig Uhr dreißig betrat der Wahlleiter Richard Behm das Podium in der Bamberger Konzerthalle, und wenige Sekunden später war es in dem großen Saal mucksmäuschenstill. Behm ging zum Hauptrednerpult und justierte das Mikrofon. Fast eintausendfünfhundert Augenpaare waren gespannt auf ihn gerichtet, während er einen Computerausdruck vor sich legte. An seinem Gesicht war nicht abzulesen, wie die Abstimmung ausgegangen war, doch Richard Behm war mit ganzer Seele Notar, er war also schon von Berufswegen darin geübt, neutral zu wirken.
    »Meine Damen und Herren, liebe anwesenden Gäste, ich darf Ihnen nun das offizielle Wahlergebnis der heutigen Abstimmung über die Antragstellung zur Neuordnung des Bundesgebietes bekannt geben.«
    Aus der absoluten Stille wurde eine Totenstille.
    »Meine Damen und Herren, auch ich konnte es zuerst nicht glauben, aber ich habe die Zahlen hier vor mir liegen. Wir haben zwei Mal nachzählen lassen, ein Fehler ist also ausgeschlossen. Knapp über drei Millionen Wahlberechtigte waren in Franken aufgerufen. Abgestimmt haben 2.824.055 Personen. Ungültige Stimmen: 47. Für Ja haben gestimmt – 1.412.004«, mit Nein haben gestimmt – 1.412.004. Das heißt, wir haben ein exaktes Patt. Nach Auszählung sämtlicher Stimmen steht es genau fifty-fifty. Nachdem für diesen Fall eine ungeklärte und damit unsichere Rechtslage vorliegt, muss ich Sie bitten, sich noch etwas zu gedulden, bis sich der Wahlausschuss ein endgültiges Bild von der juristischen Lage gemacht hat. Wir werden

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