Drei Frauen im R4
Nele gerade erklären, da wurde unsere hübsche Konferenz gestört. Denn unter »Töörööh« und »Hallo« kam Renates Mutter auf uns zugelaufen, und sie brachte Bauscheinwerfer, Stativ und verschiedene Fotoapparate mit. Ich fragte mich sofort, was dieses Spektakel jetzt sollte, und begriff im Dreivierteltakt, dass nun die ersten Fotodokumente fällig waren. Obwohl die Sonne mörderisch auf das Kopfsteinpflaster schien, tanzte Frau Fröhlich um uns herum und knipste wild drauflos, ungeachtet meiner Körperwindungen und Proteste. Nicht nur einverstanden sollte ich sein, sondern jetzt auch noch auf eine schöne Visage achten, damit man zeigen konnte, wie ausgesprochen witzig doch diese Urlaubsidee war, so witzig, dass sich alle vor Lachen bogen. »Für wen sind die Fotos eigentlich?«, fragte ich und hielt die Hand vor die Paparazzikamera. Eine Fotostrecke für die Dorfzeitung war geplant, erfuhr ich schnell. »Drei alte Wachteln in Pluderhosen«, scherzte ich dazu bissig, aber Frau Fröhlich notierte sich diese unbedachte Bemerkung sofort. »Super Überschrift«, freute sie sich. »Passt genau zur Story.« Eigentor. Nele schüttelte den Kopf und machte dazu eine lange Schnute. »Da, Nele, das ist das richtige Motiv«, drehte ich Frau Fröhlich zu ihr hin.
Frau Fröhlich fand aber unser Auto interessanter. Als engagierte Heimatzeitungsjournalistin beugte sie sich tief in den kleinen Kofferraum hinein, um Matten und Schlafsäcke und insbesondere die Dosenware im Futterkarton festzuhalten, mit der ihre sonst so ernährungsbewusste Tochter beabsichtigte, sich zu ernähren. Das wilde Bilderschießen und Blitzlichtgewitter machte mich misstrauisch, und ich folgte Frau Fröhlichs Blick in den Karton. Die Futterkiste sah aus, als hätte jemand Aldi, Lidl und ein paar Penny-Märkte gleichzeitig überfallen.
»Das ist doch aber nur für die ersten Tage, oder?«, fragte ich und zeigte auf Serbischen Bohneneintopf und Linsensuppe mit zweifelhaften Würstchen.
»Das schmeckt besser, als du denkst«, mischte sich Frau Fröhlich ein und drückte mir eine Sauerkrautbüchse in die Hand, mit der ich – »nein, bitte etwas höher und, nein, einen Zentimeter weiter nach unten« – für ein Foto posieren sollte.
Als hätten wir nie etwas von Ampelernährung und fünf Farben am Tag gehört, strotzte unsere Lebensmittelkiste nur so vor Frühstücksfleisch, Dosensardinen und Gouda, eingeschweißt im ganzen Pfund.
»Das ist doch ekelhaft«, begehrte ich auf.
»Das ist 1982«, entgegnete Renate trocken und schob noch eine Palette selbstgemachte Marmelade in den Wagen. »Alles so wie früher.« Sie zeigte ihrer Mutter das Ressort, für das sie immer zuständig gewesen war: persönliche Hygiene und Waschmittel aller Art, sprich Kernseife und Salz. Selbst als Zahnpasta hatten wir Kernseife oder Salz benutzt. Günstig, sauber und ökologisch abbaubar. Salz kam für mich nicht mehr in Frage. Davon gingen nur meine Implantate kaputt, und Dr. Knut würde laut schimpfen. Seife war aber auch keine Lösung. So weit kam es noch, dass ich in ein Stück CD oder Fa-Seife biss. Ich versuchte mir einzureden, dass Renate doch noch irgendwo eine Tube Zahnpasta eingepackt hatte. Ja, sie brannte für diese Revivaltour, aber verrückt war auch Renate nicht. Man denke nur an das schöne Gold, das sie sich hatte in einen Backenzahn versenken lassen.
»Geht noch mal pinkeln, in fünf Minuten fahren wir los!«, rief Renate. Mit flinker Hand sammelte sie die allerletzten Sachen ein: die noch schnell gewaschenen Lieblingssocken, die im Garten auf einem Ast zum Trocknen hingen, die eingelegten Pflaumen, das Stirnband für die Fahrt und natürlich, ganz wichtig, den Kräuterschnaps ihres Vaters, mit Liebe gebraut und in sehnsuchtsvollen Nächten die beste Medizin. Ehe ich mich’s versah, saß auch Nele schon im Wagen.
»Mach doch!«, rief sie mir geschäftig zu. Ich hetzte auf die Toilette. Dort versuchte ich, das Feriengefühl von früher heraufzubeschwören. Hier auf dem Hof hatten wir immer gesessen, den Rücken an die warme Mauer gelehnt, Konstantin Weckers Wenn der Sommer nicht weit ist gesungen und voller Vorfreude unsere Reisen geplant. In den Urlauben unserer Jugend mussten wir unsere Markstücke noch in Francs und Lire umtauschen, und in Frankreich und in Italien kauften wir Zigaretten, die es in Deutschland nicht gab. Zum Beispiel die französischen St. Michel. Kurze, starke Zigaretten in einer grünen Packung. Wie hatte ich die geliebt! Heute war
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