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Drei Frauen im R4

Drei Frauen im R4

Titel: Drei Frauen im R4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Weiner
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die ganze Welt ein einziger Hamburgerladen. War die Welt bunter gewesen, als wir noch zwanzig waren? Die Reise würde mich nicht jünger machen, sosehr wir auch versuchten, uns an die Regeln von damals zu halten. Du kannst die Uhr nicht zurückdrehen, dachte ich, als ich wieder zu den anderen ging, und eine Latzhose macht noch keinen Sommer.
    »Trudi!«, plärrte Nele.
    »Wo ist die Gitarre?«, hörte ich Renate rufen. »Die muss auch mit.«
    O ja, die Gitarre. Die hatte schon eine Reise von achthundertfünfzig Kilometern überstanden, eingeklemmt zwischen Fahrer- und Beifahrersitz, oder sollte ich lieber sagen, wir hatten die Reise überstanden, obwohl uns die Gitarre den letzten Bewegungsspielraum raubte? Als ich von der Toilette kam, waren Nele und Renate wieder ausgestiegen. Auch das gehörte zum Ritual. Erst eine Riesenhektik machen, und dann verzögerte sich die Abfahrt doch um ein paar weitere Stunden. Ich schielte auf die Uhr. Mit etwas Glück würden wir bei Frau Fröhlich übernachten. So ein Hin und Her, das kostet eine Menge Zeit.
    »Wir haben ja das Wichtigste vergessen!«, erklärte Renate und suchte nach einem Karton.
    »Stimmt!« Nele begann in ihrer Tasche zu wühlen, die aus einer alten Jeanshose geschneidert worden war. Hintern und Vorderteil der Hose waren zu einem Beutel zusammengezogen worden, auf eine Gesäßtasche hatte jemand ein Peacezeichen, auf die andere die Nickelbrille von John Lennon gestickt.
    »Genau, Handys her!« Renates Aufforderung traf mich wie der Blitz. Sie fuchtelte mit dem Karton unter meiner Nase. »Mach schon!«, forderte sie mich auf. Hektisch schaute ich von Nele zu Renate und wieder zu Nele.
    »War doch abgemacht, die bleiben hier.« Renate lächelte wie ein Haifisch.
    »Wie …?«, stammelte ich aufgebracht. »Wie, die Handys bleiben hier? Ich glaub, du hast ’nen Knall!«
    Nix blieb hier! Gut, wir hatten versprochen, nicht zu telefonieren, aber deswegen musste man doch nicht gleich das Handy abgeben. Mein mobiles Telefon lag mir am Herzen, und ich hatte es lieb.
    »Willst du die Regeln missachten?« Nele legte ihre Stirn besorgt in Falten. Sie sah aus wie ein nachdenklicher Don Camillo, gespielt vom grandiosen Fernandel. »Jetzt schon?«
    »Kein Handy, kein Smartphone, kein Notebook, kein E-Reader«, erinnerte mich Renate streng. Das Herz klopfte mir bis zum Hals, und meine Stimme versagte schon beim Gedanken daran, dass es ihnen ernst sein könnte. Ohne Handy war ich nur eine halbe Frau. Ohne Computer gar nicht mehr existent. Als seelenloser Geist würde ich in diesem Auto schweben. Handy und Computer waren sozusagen mein Pulsschlag. Und ich brauchte sie nicht nur für die Arbeit, ich lebte mit den Geräten. Sie waren mein Wecker, mein Gedächtnis, mein Nachschlagewerk, Adressverzeichnis, Kontaktbasis, Zeitung – alles, was meinen Tag ausmachte, und würde ich einst heiraten, dann sollte dazu die Musik von Microsoft erklingen, und zwar die, wenn der Computer hochfährt. Ich war kein Digital Native, aber ich kam diesem Typus ziemlich nahe. Was, wenn ich dringend etwas für die Firma organisieren musste? Wenn mein Vorgesetzter mich erreichen wollte, weil nur ich die Dinge so erledigen konnte, wie er wollte? Ich arbeitete in der Personalabteilung eines großen Konzerns, ich musste immer erreichbar sein, um die neuen Hoffnungsträger für den Vorstand zu finden. Die High Potentials, auf deren Schultern alles ruhte. Nicht erreichbar sein? Nicht mal für Wolfgang? Mein Puls beschleunigte sich, meine Hände wurden feucht. Selbst zur Entspannung war ich auf meine technischen Freunde angewiesen. Auf meinem E-Reader hatte ich eine große Auswahl von Büchern und Musik gespeichert, die mich klickend glücklich machten.
    »Ich lese gerade den neuen Krimi von der Noll auf meinem E-Reader«, sagte ich, obwohl das nicht ganz stimmte. Eigentlich lese ich nämlich keine Krimis, auch nicht die von Frau Noll, aber es gilt doch, dass man Krimileser niemals unterbricht, oder?
    »Wir haben eine hübsche Auswahl echter Bücher dabei.« Stolz führte Nele mir das Sortiment in der Bücherkiste vor. Neben ein paar alten Emmas entdeckte ich den Bestseller Freies Wendland , eine mitreißende Dokumentation über die Republik Wendland, das deutsche Woodstock. Ich blätterte in dem vergilbten Band. »Die Besetzer kamen mit Sack und Pack, mit Kochgeschirr, Schlafsäcken, Werkzeug und Proviant«, stand unter den Fotos, die Jung und Alt auf dem Marsch ins Wendland zeigten. Die damalige

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