Drei Frauen im R4
zu meinen Füßen roch es komisch. Oje, der Essig, den Renate immer für die Haare mitnahm. Am besten fiel ich gleich in ein Gestankskoma und wachte erst nach dem Urlaub wieder auf. Renate drehte die Musik noch ein bisschen lauter und ließ ihre Haare im Fahrtwind flattern. Ich verschnürte eine umgefallene Essigflasche mit Klopapier, grauem Umweltschutzpapier, mit blauem Siegel.
»Bello …«, sang Renate und rief ausgelassen: »Fraulich!« Ich kapierte: Logisch, vor wenigen Tagen hätte sie einfach »herrlich!« gesagt. Die Regeln, die Regeln. Ich stellte mich darauf ein, dass ab jetzt andere Vokabeln galten. Also, es hieß nicht mehr »O Gott«, sondern »O Göttin«. Nicht »man kann«, sondern »frau kann«. Nicht »der Mond«, sondern »la luna« – allein schon, weil das viel hübscher klang.
Ich griff mir die Töchter Egalias aus der Lesekiste, um schon mal zu üben.
Ich kannte niemanden, der das Buch zu Ende gelesen hatte, schon gar keinen Mann, es sei denn, er wollte sich bei einer Frauen- WG einschleimen.
Werner hatte das geschafft. Mit den Töchtern unterm Arm war er zum Frauentee erschienen und hatte sich in die Runde eingeschleimt. In Wirklichkeit war er nur auf Nele scharf gewesen. Neles verständnisvolle Art kam bei Werner besonders gut an, weil er das Wort Pazifist auf fast jedem Pulli trug. Wow!, hatten wir damals gedacht. Was für ein super Macker, kennt sich sogar mit Wolle aus. Damals dachten wir, die Männer mit dem sanften Augenaufschlag wären männliche Emanzen. Deswegen durfte Werner sich beim Frauentee auf einen Hocker kauern und mit uns über die Rolle der Frau, ihre Rechte auf Selbstbestimmung und über alternative Verhütungsmethoden diskutieren. Wenn er Glück hatte, durfte er sogar ein Diaphragma auf ausgestreckter Hand beäugen.
»Ach?! Damit verhütet ihr?«
»Und es dient uns auch als Tampon!«
Mit Schaudern dachte ich an das Auswaschen!
In den Töchtern Egalias waren Frauen das herrschende Geschlecht. Das hatten wir damals so neu gefunden, aber es war mühsam, und man quälte sich hindurch.
»Mir ist schlecht!«, jammerte ich. Die Federung gab nicht nach. Die Landschaft hoppelte an mir vorbei, und ich versuchte vergeblich, mit den Augen einen festen Punkt zu fixieren, weil das bei Übelkeit gut wirkt.
»In Weißenburg dürfen wir nicht zu lange bleiben«, kündigte Nele an. Sie hielt die veraltete Landkarte hoch, drehte sie mal nach rechts und mal nach links, klappte sie auf und wieder zu. »Der Wagen fährt nicht so schnell, wie ich dachte, und wir müssen noch einen Campingplatz bei Basel finden.«
»Bei Basel?«, fragte ich verwundert.
»Ja. Oder willst du vor dem Rathaus campen?«
Nele hatte sich Sonnengläser über ihre Lesebrille geklappt und maß die Strecke mit dem Daumen, weil das Rädchen wohl doch nicht die zuverlässigste Auskunft war. Wir fuhren im Schneckentempo, und wir würden noch langsamer werden, weil wir auch die Autobahn umgehen mussten. Wie damals. »Oder wir fahren zurück und schlafen noch mal auf der deutschen Seite, das ist sicher billiger«, schlug Nele vor.
Immer dieser Sparzwang. Ich jaulte leise auf.
»Günstiger«, korrigierte Renate die ungeschickte Wortwahl. Sie sang nicht mehr mit, weil Frau Nannini zu eiern begonnen hatte. So was aber auch! Mit einer ungeduldigen Handbewegung ließ Renate die Kassette aus dem Rekorder springen und beäugte die Angelegenheit expertinnenhaft.
»Offenbar ist sie zu heiß.«
Frau Nannini und zu heiß? Die konnte doch gar nicht heiß genug sein. Renate hielt die Kassette aus dem Fenster. »Vielleicht kühlt der Wind sie ein bisschen ab.« Das hatte schon früher nicht geholfen, weil die Kassetten nicht heiß liefen, sondern einfach kaputt waren.
Renate probierte nun den nächsten Trick, um die jaulende Interpretin wieder zur Räson zu bringen. Energisch klopfte sie mit der Kassette gegen das Lenkrad, doch die leistete trotzig Widerstand. Mieses Kassetten-Karma.
Nele ergriff die Gelegenheit und legte eine neue Kassette ein. »Da fliegt dir doch das Blech weg!«, rief sie begeistert, als Spliff erklang.
»Hey, Spliff!« Ich wurde wieder munter. »Weißt du noch, Renate, du hast mir das Album zum Geburtstag geschenkt, ich glaube, es war zum Dreiundzwanzigsten, und ich habe es innig geliebt. Die Kassette ist aber nicht von mir. Wer die wohl aufgenommen hat?«
In den 80ern zählte es zu den großen Liebesbeweisen, für jemanden eine Musikkassette zusammenzustellen, Mixtape nannte man das zu dieser
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