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Drei Frauen im R4

Drei Frauen im R4

Titel: Drei Frauen im R4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Weiner
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Zeit. Gestaltete ein Mann auch noch ein Cover und schrieb alle Titel und Interpreten auf, womöglich sogar mit der Schreibmaschine, war davon auszugehen, dass frau auf echte Gefühle hoffen konnte. Später, als man mit dem Doppeldeckrekorder bequem Kassetten kopieren konnte, büßte diese besondere Liebeserklärung etwas an Unschuld ein. Nele, Renate und ich hatten tatsächlich von ein und demselben Liebhaber die gleiche Kassette bekommen. Als der Schwindel aufflog, war Michael schon lange weg, und wir entsorgten die Kassetten im Kollektiv. Schade eigentlich, denn Michaels Musikgeschmack war ziemlich gut gewesen, und jetzt hätte ich die Hits sehr gern gehört.
    Heute schickten die Kerle einen YouTube-Link. Dass die Welt der Mixtapes irgendwann untergehen würde, hätte ich im Leben nicht gedacht. Deshalb war ich nicht sehr sorgsam mit den Kassetten umgegangen: Sie flogen ohne Hüllen im Auto oder in der Wohnung umher, und alle Beschriftung war umsonst.
    Renate zündete sich eine filterlose Camel an und inhalierte genussvoll. In null Komma nichts waren wir von Nikotinnebel umgeben. In einem winzigen R4 zu rauchen ist so ziemlich das Fieseste, was es gibt. »Du bist echt asozial«, sagte ich ganz im Geiste der 80er zu Renate.
    »Stimmt«, antwortete sie burschikos. Auch das waren die 80er. Wenn einem jemand betroffen kam, dann ließ man ihn einfach auflaufen, indem man sagte: »Du, ich nehm das an.«
    Renate hatte seit Jahren keine Zigarette mehr geraucht und erst recht keine filterlose. Verblüfft stellte ich fest, dass es mit dem Rauchen wohl wie mit dem Fahrradfahren war, der Körper verlernt es nie: Die Camel hing lässig in Renates Mundwinkel, als hätte sie nie aufgehört zu glimmen. Ich hustete demonstrativ und japste nach Luft. Auch Nele hatte sich für die Reise vorgenommen, wieder zu rauchen, wie sie es mit zwanzig getan hatte. Ich fand das irrsinnig komisch. Da machten sie Ayurveda, Heilfasten und Gesundheitskuren, und jetzt zündeten sie sich Zigaretten an.
    »Du auch eine?«, fragte Renate und hielt mir die Schachtel hin, aber ich verneinte. Ich hatte schon früher nicht vor 21 Uhr geraucht.
    »Herrlich …«, freute sie sich inkorrekt und meinte die Pfälzer Berge, die uns umgaben. Bunte Felder schmiegten sich an die Hänge, kleine Dörfer und Burgen fügten sich malerisch in die Landschaft. An den Rändern der Weinäcker wuchsen Rosen, und Wicken rankten sich um die Rebstöcke.
    »Hinter Weißenburg können wir noch ein winziges Stück die Autobahn benutzen, aber dann müssen wir runter«, kündigte Nele an. Sie schaute wieder in die Karte. »Ein Stückchen A5, dann ist Land angesagt.«
    »Jetzt sind wir erst mal in Weißenburg«, sagte Renate. Wir fuhren auf das Pfälzische Weintor zu.
    Nele warf vor Freude die Hände in die Luft, als wir auf einer Begrüßungsfahne »Willkommen in Wissembourg« lasen.
    »Schade, dass es keine Zollbeamten mehr gibt«, beklagte sich Renate. Das neue Europa stahl uns den ersten Thrill früherer Reisen. Wie spannend die Fahrt über die Grenze gewesen war! Würde man rüberkommen oder gefilzt werden? Diese Frage hatte damals zu solchem Herzrasen geführt, dass wir an der Grenze stumm und zitternd im Auto kauerten. Bei der Abfahrt war es eine große Herausforderung, Kaffee und Weinflaschen möglichst unauffällig unter den Sitzen zu verstauen. Die mussten mit, weil es ja billiger war, Wein und Kaffee aus Vaters Keller und Mutters Schrank zu klauen, als sie vom knappen Haushaltsgeld selbst zu kaufen. Unsere Eltern sahen gutmütig über die fehlende Ware hinweg, bis auf das eine Mal, als ich Vaters Lieblingscognac in der Jutetasche hatte verschwinden lassen. Doch ansonsten waren wir immer gut mit Flaschen bestückt gewesen. Meist fühlte man sich schon als Ganovin, wenn man nur an Frankreich dachte. Was die Grenzkontrollen betraf, hatte die Geschichte von Dietmar aus der WG unsere Befürchtungen genährt. »Ich musste die Ente selbst ausräumen und dann wieder ein!«, hatte er sich beschwert. Vor den Augen der Beamten musste er sämtliche Weinflaschen auf dem Seitenstreifen aufreihen und abzählen, und es war eine Tortur, bis er endlich weiterreisen durfte. Die Schweine hatten ihn gefilzt . Obwohl Dietmar schimpfte und die Parolen »Macht aus dem Staat Gurkensalat« und »Nur wer sich widersetzt, ist unersetzlich!« aus sich herausposaunte, suhlte er sich doch in den Mädchenaugen, die an seinen Lippen hingen. Toll! Dietmar war von den Schweinen gefilzt worden, aber er hatte

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