Drei Generationen auf dem Jakobsweg
keinesfalls enttäuscht, wir kannten ja die Regeln. Wir übernahmen einer nach dem anderen unsere Compostela und fielen uns, wieder im Freien angelangt, um den Hals, gratulierten uns zu unserem Erfolg und wollten diesen im Anschluss ein bisschen feiern. Ich war sehr stolz auf meine Tochter und so zollte ich ihr größten Respekt vor ihrer Leistung. Wir wussten alle, dass sie es alleine mit Kind nicht geschafft hätte, aber nicht aus Mangel an Kondition oder Willensstärke, nein, aufgrund der vielen Widrigkeiten des Weges mit einer Kinderkutsche. Peter schloss sich meinen Worten an, gratulierte Larissa und Franzi ebenfalls und meinte, dass auch sein Wunsch, seine drei Damen gesund nach Santiago zu bringen, in Erfüllung gegangen sei. So ist er mein Mann, bescheiden und großartig. Immer zuerst auf uns bedacht.
Jetzt war es an der Zeit, unser Hotel, welches gleich in der Nähe der Kathedrale lag, aufzusuchen, unser Gepäck abzuladen, zu duschen und uns für die Besichtigung der Kathedrale fertigzumachen. Nun standen wir hier vor dem Hauptportal der mächtigen Kathedrale von Santiago. Der drittwichtigsten Pilgerstätte der katholischen Christenheit, nach Jerusalem und Rom. Schon beim Emporsteigen der Treppen war ich erfüllt von Harmonie. Ein unbeschreibliches Gefühl. Wir besichtigten die Kathedrale und waren überwältigt. Ehrfürchtig bestaunten wir den aufwendig geschmückten Altar mit dem mit Gold, Silber und Edelsteinen geschmückten Jakobus. Hinter dem Altar führte eine Treppe aus Marmor hinauf zu der Figur des Apostel Jakobus, den wir berühren. Denn erst nach dieser Berührung ist die Pilgerreise wirklich zu Ende. In der Krypta unter dem Altar, in die wir hinunterstiegen, ruhen in einem silbernen Schrein angeblich die Gebeine des Heiligen Jakobus. Ich war so überwältigt, dass ich mich im Anschluss in eine Bank setzte und ein Gebet sprach, nur für mich allein. War es jetzt das tatsächliche Ende des Weges oder war es dieses Gotteshaus, das mich in Tränen ausbrechen ließ? Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Peter setzte sich schweigend neben mich, legte seine Hand auf meinen Oberschenkel und reichte mir ein Taschentuch nach dem anderen. Ich konnte über eine Stunde nicht mehr aufhören zu weinen. Ein Kirchendiener kam auf uns zu und fragte, ob wir Hilfe benötigten. Mein Mann winkte ab und letztlich versiegten meine Tränen auch wieder. Wie in Trance, aber als anderer Mensch, als wäre ich jetzt von alten Mustern befreit, verließ ich zusammen mit meinen Lieben die Kathedrale.
24. Juni Santiago-Aufenthalt, Pilgermesse und Fahrt nach Riveira
Überglücklich wurde ich wach. Noch bevor ich die Augen aufmachte, wurde mir bewusst, dass wir keinen Rucksack mehr packen, keine Schuhe mehr schnüren, keine Wasserflaschen mehr füllen mussten und vor allem, dass wir ganz in Ruhe und ausgiebig frühstücken konnten. Es war tatsächlich geschafft, wir waren in Santiago de Compostela am Ziel unserer Reise angekommen. Mein Mann und ich standen auf und unsere erste Handlung heute war, unsere Schuhe zu entsorgen. Weder Peter noch ich wollten diese als Reiseandenken wieder mit nach Hause nehmen. Also steckten wir sie kurzerhand, aber voller Respekt, haben sie uns doch weit getragen, in den Abfallkorb unseres Zimmers.
Als wir im Frühstücksraum unseres Hotels ankamen, sagte uns der Rezeptionist , dass unsere Kinder bereits unterwegs seien, um ein paar Postkarten und Briefmarken zu kaufen. Wir sollten in Ruhe frühstücken und sie wären rechtzeitig zurück, um mit uns gemeinsam die Pilgermesse zu besuchen. Also bestellten wir in alter Gewohnheit Kaffee und Croissants. Es schmeckte fantastisch. Unsere Franzi kam voller Eifer auf uns zugelaufen und sagte: »Omi, wir schreiben dir eine Karte aus Santiago de Compostela .« Schnell wurde mir klar, dass Larissa zu Franzi nur gesagt hatte, sie würden der Oma eine Karte schreiben. Gemeint war natürlich die andere Omi, ihre Schwiegermutter. Wir mussten lachen und waren sehr zufrieden, dass wir die Kinder wiederhatten. Larissa schrieb voller Eifer die Postkarten und Franzi lernte zum letzten Mal auf diesem Weg eine neue Freundin kennen, welche ihre Mutter, ein Zimmermädchen des Hotels, in die Arbeit begleitete und dabei im Gastgarten kurzerhand abgesetzt wurde. Sichtlich zufrieden spielte dieses Mädchen mit unserer Franziska, bis wir dann gegen elf Uhr zur Pilgermesse starteten.
Auf dem großen Platz vor der Kathedrale drängelten und schlängelten sich Menschenmassen
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