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Drei Irre Unterm Flachdach

Drei Irre Unterm Flachdach

Titel: Drei Irre Unterm Flachdach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastienne Voss
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Mitleid. Er kannte kein Entg e genkommen, keine Hilf s bereitschaft. Nur was ihn bewegte, zählte, und das war viel. Damit beschä f tigte er sich und seine Mitmenschen rund um die Uhr.
    Wenn man den Alltag überhaupt mit ihm aushalten konnte, ohne selber e i nen Koller zu kriegen, dann als Kind. Mir gegenüber verhielt er sich a n ders. Mir gab er Wärme und Zuneigung, deshalb konnte ich ihm verzeihen. Andere kon n ten das nicht, denn ihnen gab er nichts. Mit uns war es einfach. Wenn er mir seine Liebe entzog, entzog ich ihm im Gegenzug die meine. Ich war der einzige Mensch, zu dem er ein halbwegs normales Verhältnis hatte. I r gendwann hatte ich begriffen, wie er tickte, und wir agierten auf Augenhöhe. Ich hatte, genau wie er, keine Hemmschwelle mehr. Intuitiv übernahm ich fast alle seine Eigenscha f ten und wurde skrupellos, hart und egoistisch. Ich kannte es nicht anders.
    Aber Großvater träumte von einer besseren Welt. Seine Vorstellungen vom Kommunismus übertrafen alles, selbst die Utopien von Marx und Engels. Daß es mit der kleinsten Zelle bei uns nie was werden würde, das konnte er nicht ve r stehen. Er gab sich alle Mühe, aber über den Schatten, den er warf, konnte er nicht springen, niemals. Man durfte es auch nicht von ihm ve r langen.
    Ich bin mir bewußt, daß meine Worte nicht ausreichen, einen Kommunisten zu beschreiben. Er ist ganz einfach der Inbegriff des Herrlichen, des Guten, das im jahrtausendealten Sehnen der Menschheit zum Ausdruck kommt...
    Aber wir leben! Wir wollen leben, und wir werden leben! Wir werden die goldenen Tore des ersehnten Wohllebens in par a diesischer Schönheit aufbr e chen!

 
    Letzter Frühling
     
    Zwei Jahre vor seinem Tod verliebte er sich in Roswitha.
    Seit sie in Großvaters Leben getreten war, stank es bei uns nach Schweinestall. Der Gestank kam von den Kunststoffla t schen, die Roswitha neben der Haustür abstellte, wenn sie Gustav besuchte. Sie war eine kleine, fette Person mit kurzen roten Haaren und durchdringender Stimme. Immer wenn Großmutter nicht zu Hause war, stattete sie uns einen Besuch ab. Dann verduftete Großvater mit ihr in sein Zimmer, wo die be i den stundenlang blieben.
    Ich konnte Roswitha von Anfang an nicht leiden, schon wegen ihrer stinke n den Latschen, und fragte mich, was sie machte, wenn sie gerade mal nicht auf Gustavs Schoß saß. Auf einmal war diese Stinkbombe da, die ich nie zuvor ges e hen hatte, und verpestete die Luft in unserer Ranch.
    Vermutlich arbeitete sie in den Schweineställen hinter den Rieselfeldern. Der Gestank, der bei u n günstigem Wind von dort zu uns rüberwehte, ging auch von ihren Latschen aus. Ich ekelte mich vor ihr. Wenn sie mit dreckigen Füßen über unser glänzendes Parkett tra m pelte, schwabbelte das Fett an ihren fleischigen weißen Armen, die mit roten Pusteln übersät waren. Ein Arm von Roswitha war so dick wie ein Oberschenkel von Großmutter. Ich stellte mir vor, wie sie im Schweinemist watete, die dicke Ferkelmörderin. Roswitha grunzte ein bedrohl i ches »Guten Tag«, wenn wir uns im Haus begegneten. Sie sah mir nie in die A u gen, sondern durch mich hindurch, als wäre ich Luft. Ich nannte sie Schweinekuten-Rosi. Schweinek u ten-Rosi schenkte Großmutter a n dauernd Gummibäume. Sie tat so, als wäre sie ihre beste Freundin. Und Wilma, die längst wußte, daß Roswitha sich heimlich mit Großvater traf, tat, als hätte sie nicht die g e ringste Ahnung.
    Die Gummibäume sahen schrecklich aus. Großmutter fand das auch, trotzdem nahm sie die Dinger mit gespielter Freun d lichkeit entgegen und stellte sie in den Wintergarten: »So, nu ham wa schon zwanzich!« Es klang, als wäre sie stolz drauf. Bald konnte man sich im Wintergarten nicht mehr bewegen. Es sah aus wie im Dschungel. Mit einer Plastikflasche bewaffnet, kämpfte sich Großmutter durch das Gummibaumdickicht und besprühte die fleischigen Blätter, die auss a hen wie Roswithas Oberarme. Daß sie die Sache so gelassen nahm und sich Tag für Tag ohne Murren an den blöden Bäumen zu schaffen machte, mußte irgen d einen Grund haben. Ich fragte sie: »Warum machst du diesen Affenzirkus?« Sie sah mich verständni s los an. »Der Mann von Roswitha baut Trabi-Himmel ein! Wir stehen auch auf der Liste. Bald sind wir dran!« Ein Trabi-Himmel war ein fei n poriger Bezugsstoff, der unter das Dach im Innern des Trabants gespannt wurde. Er dämpfte das Fahrgeräusch, galt als schick und war ohne Beziehungen nicht zu b e kommen.
    Das war es

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