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Drei Irre Unterm Flachdach

Drei Irre Unterm Flachdach

Titel: Drei Irre Unterm Flachdach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastienne Voss
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Rechnen, watte nich kannst, anstatt Bilder von Jesus zu malen! Da jehste mir nich mehr hin, haste verstanden?« Ich fand es nicht schlimm, daß ich mich für Religion int e ressierte. Bei den Pionieren war ich ja sowieso! Was ihr mit Großvater nicht g e lang, das machte sie mit mir. Sie versuchte, mich zu erziehen. Ich traute mich nicht, ihr zu widersprechen und ins Gesicht zu sagen, daß sie du m mes Zeug quatschte.
    Sie nervte mit ihrem ewigen »Zieh dir Hausschuhe an, sonst jag ich dich n a ckend zum Tempel raus!«. Wegen der Hausschuhe lieferten wir uns wilde Verfolgungsjagden um den Eßtisch im Ki r chenzimmer. Wilma schwang fluchend den Teppichklopfer und dro h te, mir mit einer Nähnadel in die Füße zu stechen.
    Sie aß nicht, sondern sie fraß. Großmutter manschte das Essen auf dem Teller zu einem unkenntlichen Brei zusa m men. »Kommt ja doch allet in einen Magen«, sagte sie und malte mit der vollen Gabel drei Kreise in die Luft, bevor sie sie en d lich in den Mund steckte. Dieses Gabelkreisen über dem Teller machte mich wahnsinnig. Es sah total b e scheuert aus.
    Sie machte grundsätzlich mehrere Dinge gleichzeitig und dementsprechend oberflächlich. Den Heringsrogen, den Mutter und ich so gerne aßen, legte sie zu salzig ein, weil sie zur selben Zeit die Wäsche zu heiß wusch. Für die verfärbten Samtpullover und eingelaufenen Hosen haßte ich sie; es waren meine Lieblingssachen aus dem Westen, die sie da regelmäßig verhunzte. Ihr war es egal, wie sie rumlief. Ihre Kle i der hatten immer Flecken, sie ging mit Bratensoße auf der Bluse ins Theater. Hier war ein Knopf ab, da der Reißverschluß kaputt, hier die Jacke falsch geknöpft, na und? »Schief is englisch, und englisch is modern«, trompet e te sie. Oberteile zog sie doppelt falsch rum an. Naht a u ßen, Schild vorne: 70 % Polyester, 30 % Baumwo l le. »Dit zieh ick jetzt nich noch mal aus, da kommt ’ne Brosche ruff und fe r tig!«
    Als Großvater zum ersten Mal für einige Wochen ins Krankenhaus mußte, schlief Großmutter in seinem Bett. Ich war aus meinem Bett in das von Großmutter umgezogen. Beim Abendessen saß sie auf Großvaters Platz, ich saß auf dem Platz von Großmutter. Wir sahen die Nachrichten und irgen d einen Film, dann gingen wir schlafen. Im Bett erzählten wir uns Märchen. Großmutter machte ständig Pausen, weil sie he u len mußte: »Warum macht der denn bloß so wat!« Das hörte sich an, als wäre Großvater an seiner Krankheit selber schuld.
    Ich hatte aus einer Kiste mit Gesellschaftsspielen rote, blaue und grüne Ha l masteine rausgekramt. Vor dem Einschlafen taten wir die Steine in einen Wü r felbecher und schüttelten ihn. Wir schlossen die Augen, und jede nahm einen Stein raus. Großmutter rief ve r zückt: »Grün, ick hab grün! Dit is die Hoffnung!« Ich: »Blau! Blau ist die Treue! Er bleibt uns treu und kommt zurück!« Wir le g ten die Steine unter die Kopfkissen und schliefen ein. Nacht für Nacht, w o chenlang, wiederholten wir das Spiel. Daß Gustav dann tatsächlich wiederkam, schob Wilma auf die Zauberkraft der Halmasteine und unsere nächtlichen Beschw ö rungen.
    Leider war Großvater im Krankenhaus nicht gesund geworden. Er hatte Darmkrebs im Endstadium, die Ärzte hatten ihn zum Sterben nach Hause g e schickt. Kurz darauf wurde bei Großmutter ein Magengeschwür diagnostiziert, was sie lediglich mit ihrem Lie b lingssatz kommentierte: »Geschwür, Geschwür! Die spinnen wohl. Dit is doch allet Quatsch!« Im Kranke n haus wurde ihr der halbe Magen wegoperiert.

 
    Großvater stirbt
     
    Dampfende Fleischbrocken klatschen auf das braungelbe Muster der Auslegeware. Erst gestern war eine Schüssel mit Er b sensuppe durch die Gegend gefl o gen. Ich hatte ewig zu tun, das Zeug aus dem Teppich rauszukri e gen, nun war er schon wieder versaut.
    Ein andermal will Großvater das Hühnerfrikassee nicht essen und haut mir mit voller Wucht den Teller aus der Hand. »Hühnchen will ich, ga n zes Huhn, nicht diesen Pamps mit Soße!« Er knattert wie ein Masch i nengewehr. Wenn ich aus dem Zimmer gehe, drehe ich ihm nie ganz den R ü cken zu.
    Nach der Krebsdiagnose war er mit einem künstlichen Darmausgang aus dem Klinikum Berlin-Buch entlassen und Großmutter mit dem bösartigen Mageng e schwür, von dem sie partout nichts wissen wollte, ins Krankenhaus eingeliefert worden. Mutter arbeitete in der Staatlichen Ballet t schule an ihrer Karriere und brachte kleinen Mä d chen mit Dutt Pirouetten bei. Schon

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