Drei Irre Unterm Flachdach
zusammenpreßte. Gustav verzog angewidert das Gesicht und kei f te, Wilma solle sofort aufhören mit dem dummen Zeug. Der blieb das Lachen im Halse st e cken, sie sagte kein Wort mehr, während wir aßen. Den Rest des Tages schnauzten sich die be i den nur noch an. So sah es aus, das viele Glück, der Gipfel aller Kultur.
Man mag mich sche l ten. Aber ich behaupte, daß ein Kommunist ein Mensch ist, der alles tut, um die Nächstenliebe siegen zu lassen, ja, voller Nächste n liebe ist ... Ist es das? Liebe deinen Nächsten wie dich selbst! Ist das unmöglich? Jedem Me n schen höflich, anständig, liebenswert und freundlich gegenübertr e ten?
Da hatte er die Rechnung wohl ohne sich selbst gemacht. Großmutter behandelte er prinzip i ell schlecht, und auch andern Menschen gegenüber benahm er sich weder höflich noch anständig noch liebenswert. Wenn Vaters Eltern uns besuchten, wurden sie den ga n zen Tag beschimpft, weil sie aus Gelsenkirchen kamen. Dabei waren auch sie Kommunisten und lebten da, wo es laut Großvater für Linke viel gefährlicher war als in der DDR. Er meinte, echte Kommunisten müßten sich bekennen und den falschen Wohnsitz gegen den richtigen einta u schen: »Wenn ihr Komm u nisten seid, dann kommt doch her! Ihr tut doch bloß so! Ihr seid ja viel zu feige, in den Osten zu kommen! Auf euren ganzen schönen Wohlstand würdet ihr doch niemals freiwillig verzichten!«
Die Wohnung von Vaters Eltern war im zweiten Stock eines grauen Miet s hauses aus den sechziger Jahren im Zentrum von Gelsenkirchen, direkt an einer Ampelkreuzung. Gesamtwoh n fläche achtundvierzig Quadratmeter, zwei Zimmer, Küche, Bad. Nordse i te, niedrige Decken, schmale Fenster. Dunkelheit, Enge, Krach, Abgase. Die Einrichtung war kärglich, man lebte bescheiden, b e schränkte sich auf das Nötigste. 1987 war ich dort gewesen, zur goldenen Hochzeit von Dorothea und Klaus, meinen Westgroße l tern.
Nach dem Gelsenkirchener Bahnhof, der g e nauso häßlich und schmuddelig war wie jeder x-beliebige DDR-Provinzbahnhof, war die Wohnung das erste, was ich vom Westen sah. Ich wollte schnell wieder nach Hause. Im nachhinein ärge r te ich mich über Großvater. Wenn er es nicht selbst gesehen hatte, dann wußte er aus Erzählungen, wie Vaters Eltern lebten. Dagegen r e sidierten wir wie Fürsten – in unserm herrlich luft i gen Amibungalow mit dem traumhaften Garten.
Ab und zu trennten sich Vaters Eltern von ihrem Gelse n kirchener Wohlstand und besuchten uns in unserer kläglichen Hütte, um sich von Großvater als Ve r räter an der Sache beschimpfen zu la s sen. »Verlogen seid ihr, inkonsequent!« attackierte er seine Gesinnungsg e nossen aus dem Westen. »Wenn ihr wirklich für unsere Sache seid, dann müßt ihr hier kämpfen! Was wollt ihr in eurem Scheiß-Gelsenkirchen? Lächerlich!« Daß Vaters Eltern in der KPD waren, sich politisch engagiert und Repressalien zu erdulden hatten, intere s sierte ihn nicht die Bohne.
Dorothea und Klaus aus Gelsenkirchen mochte ich gern, aber Großvater liebte ich. Er hatte für den Kommunismus im KZ gese s sen, Vaters Eltern nicht. Man mußte ihn beschützen.
Großvater hatte die Gelsenkirchener Wohnung tatsächlich nie gesehen. Wenn er in den Westen fuhr, besuchte er au s schließlich seine Verwandten. Die waren zwar keine Kommunisten, gehörten aber zur Familie. Zu seiner Familie. Gro ß mutters Verwandte, die bis auf eine Schwester auch alle im Westen lebten, b e suchte er nie. Obendrein machte er Wilma das L e ben zur Hölle, wenn die ihre Angehörigen treffen wollte. »Was willst du bei dem abtrünnigen Pack?« Gro ß mutter wollte, wie Großvater, den Kontakt zu ihrer Familie nicht verlieren. Doch Gustav war es unmöglich, Wilma in dieser Angelegenheit »höflich, anständig und liebenswert« gegenüberzutreten. Und die einzige Schwester, die im Osten lebte, Tante Mimmi, konnte er auch nicht leiden. Sie hatte den vom Neid zerfre s senen, versoffenen Ingenieur zum Gatten, den Mong o lei-Egon, der auch gern eine Misc h batterie aus dem Westen gehabt hätte. Mongolei-Egon war für Gustav nichts weiter als ein mi ß günstiger, kleinkarierter Parasit.
Im Grunde genommen konnte sich Großvater weder ein- noch unterordnen. Er war absolut untauglich geworden. Untauglich für jede Form der Gemeinschaft, und sei es nur die kleinste Zelle, die Familie. Andere hatten keine Bedürfnisse, keine Wünsche zu h a ben. Sie hatten zu funktionieren. Er konnte nicht teilen, und er hatte kein
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