Drei Irre Unterm Flachdach
betrunken und sprang nackt ins Plansc h becken neben dem Seerosenteich. Sie winkte Großvater zu, der in seinem Sessel im Winterga r ten saß. »Opa, Opilein, sei kein Schwein, komm auch mit rein!«
Wenn Großvater die Brille aufhatte und sah, daß Paula nackt war, würde er auf der Stelle tot umfallen. Er war vierun d siebzig! Doch dann fiel mir Roswitha ein. Wer weiß, was er von der so spät noch alles gesehen hatte. Ich ließ Paula planschen, und Großvater fiel nicht tot um. Er lächelte und winkte zurück. Mann, wie ich den liebte! Er durfte niemals sterben.
Neben dem Spargelbeet lag der dünne Boris. Boris, den ein schweres Niere n leiden plagte, bewegte sich nicht mehr. Er hatte sich von oben bis unten vollg e kotzt und außerdem die Hosen runtergelassen. Der Wein war ihm nicht beko m men. Keiner kümmerte sich um ihn, obwohl er mindestens bewußtlos war. Die leeren Flaschen lagen im Gras, es gelang mir nicht, sie zu zählen. Alles drehte sich. Ich fixierte den nackten Arsch von Boris und versuchte mich zu konzentrieren. Fünf Voll- trunkene, eine Nackte und ein Toter – die Party war aus dem R u der gelaufen.
Ich torkelte zu Großvater und stammelte was von Apfelwein, Kotze und Tod. Aber Gustav blieb ruhig. »Ruf einen Kra n kenwagen!« sagte er und sah aus dem Fenster. Ich hatte noch nie einen Krankenwagen gerufen.
Am andern Ende meldete sich der Notdienst. »Wir haben ... haben ... hier e i nen ... Bewußtlosen, vielleicht ist er auch ... tot. Wir wohnen in der« – jetzt fiel mir die verdammte Adresse nicht ein – »Müllerstraße 35.« Später gab ich zu Pr o tokoll, woher der Wein stammte und wieviel wir davon getrunken hatten. Gro ß vater stand daneben und sagte kein Wort. Boris kam mit Blaulicht ins Kranke n haus und wurde entgiftet. Wegen seines Nierenleidens stand es ziemlich schlimm um ihn. Er mußte eine ganze Woche dort ble i ben.
Ich wartete auf meine Strafe, aber sie blieb aus. Es passierte überhaupt nichts. Nie wieder war die Rede von der Apfelweinparty. Nur Großmutter stiche l te: »Wenn de dit noch mal machst, versohl ick dir den Hintern, daß dir Hören und Sehen ve r jeht!« Doch dann lachte sie. Sie konnte nie lange ernst bleiben.
Die Eltern von Boris hatten noch am selben Abend bei uns angerufen und mit einer Klage wegen unterlassener Au f sichtspflicht gedroht, aber Großvater war immer noch ruhig geblieben: »Was wollen Sie von mir? Ich kann nicht ständig hinter den Kindern her sein. Wäre ich dabeigewesen, hätte ich die Sache verhi n dert. Aber ich war eben nicht dabei und konnte folglich auch nichts tun. Sagen Sie Ihrem Sohn gute Besserung. Ich bin übe r zeugt, er wird sich schnell wieder erholen. Auf Wiederhören.« Dann hatte er aufgelegt, bevor die and e re Seite noch irgendwas sagen konnte. Die Angelegenheit war für ihn erledigt. Boris’ Eltern meldeten sich nicht mehr bei uns. Sie erhoben auch keine Klage. Gustav kon n te ganz schön cool sein.
Nur war er diesmal gar nicht cool. Die Schwäche, die ihn aus Roswithas A r men zurück in unsere getrieben hatte, hatte ihn gleichgültig gemacht. Er war erschöpft, deshalb war auch ich ve r schont geblieben.
In der Schule wurde ich wegen der Apfelweinparty mies behandelt. Ich mußte nachsitzen und bekam schlechte Zensuren, besonders von Ch e mie-Gatzke, der mich sonst immer während des Unterrichts nach Karto f feln für seine behinderte Familie schickte. Der Sohn war bekloppt, die Frau saß im Rollstuhl, und ich war zu blöd für Chemie, also kaufte ich Kartoffeln und erhielt dafür in jeder Arbeit eine Drei. Seit der Party holte jemand anders die Kartoffeln für Gatzke, und ich bekam die Zens u ren, die ich verdient hatte. Als ich Großvater davon erzählte, war er ganz der Alte: »Laß man, Jenni, dieses Lehrerpack will dich nur ärgern. Alles Arschgeigen! Von denen läßt du dich nicht klei n kriegen!« Das tat gut. Er gab mir das Gefühl, una n greifbar zu sein.
Einige Eltern verboten ihren Kindern den Umgang mit mir. Und einmal, als ich mit Großmutter im Ort einen Einkaufsbummel machte, rief Paulas Mutter von der andern Straße n seite zu uns rüber: »Wenn ich Ihre Enkeltochter sehe, Frau Voss, dann sehe ich rot!«
70% Polyester, 30% Baumwolle
Als Kind litt ich unter Großmutters radikalen Ansichten. Irgen d wann hatte sie spitzgekriegt, daß ich heimlich zur Christe n lehre und zum Gottesdienst ging, und hielt mir einen Vortrag. »Du vertrödelst deine Zeit, mach lieber wat Ve r nünftiges! Üb
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