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Drei Irre Unterm Flachdach

Drei Irre Unterm Flachdach

Titel: Drei Irre Unterm Flachdach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastienne Voss
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gleicht dem Hexenmeister, der die u n terirdischen Gewalten nicht mehr zu beherrschen vermag, die er heraufbeschwor ... In den Krisen bricht eine gesel l schaftliche Epidemie aus ... die Epidemie der Überproduktion.« Unterird i sche Gewalten, Epidemie, Überproduktion – ich begriff überhaupt nichts. Auch Großvaters Anmerkungen blieben mir ein Rätsel: »Die Religion. Opium. Warum?« Zu Onkel Walter hatte er doch gesagt: »Die Religion, mein Lieber, ist Opium für das Volk!«, und hier stand, mit Rotstift geschrieben: »Die Religion. Opium. W a rum?« Gustav spielte gern vor andern den Schlauen, das war alles.
    Einmal las er eine spannende Stelle vor: »Unsere Bourgeois, nicht zufrieden damit, daß ihnen die Weiber und Töchter ihrer Proletarier zur Verfügung stehen ... finden ein Hauptvergn ü gen darin, ihre Ehefrauen wechselseitig zu verführen.« Er machte Kunstpausen, und das Wort verführen zog er in die Länge, wobei er sich ewig nicht vom »ü« trennen konnte. Dabei sah er Onkel Volker und Onkel Walter, den Pforzheimer Zwilli n gen, tief in die Augen. Schöne Vorstellung, daß die Onkel einfach ihre Ehefrauen austauschten. Sie sahen sich zum Verwechseln ähnlich, sie konnten sich das leisten. Die Tanten würden den Tausch nicht b e merken, und die Onkel bekamen keine Langeweile. Toll. Man hatte ja davon gehört. Jeder Onkel langweilte sich irgendwann mit der eigenen Frau. Laut »Kommunistischem Man i fest« gehörte sich der Tantentausch aber nicht, deshalb richtete Gustav mahnend das Marxzitat an die Onkel. Später, als ich selber nach lustigen Texten suchte, fand ich die Stelle mit dem Ehefraue n tausch. Sie war am rechten und linken Textrand mit einem dicken, roten Ausrufeze i chen versehen.
    Ein andermal wurde über privates oder staatliches Eigentum gestritten, und Großvater zitierte: »Ihr entsetzt euch darüber, daß wir das Privateigentum au f heben wollen. Aber in eurer bestehenden Gesellschaft ist das Priva t eigentum für neun Zehntel ihrer Mitglieder aufgeh o ben; es existiert gerade dadurch, daß es für neun Zehntel nicht existiert. Ihr werft uns also vor, daß wir ein Eigentum aufh e ben wollen, welches die Eigentumslosigkeit der ungeheuren Mehrzahl der Gesel l schaft als notwe n dige Bedingung voraussetzt.« Dem konnte niemand was entgegensetzen. Das Gespräch über die Eige n tumsverhältnisse war beendet, Großvater hatte mit Karl Marx’ Hilfe wieder mal gesiegt. Karl und Gustav ve r standen sich bestens, sie ergänzten einander fabelhaft.
    Großmutter, die ab Mitte der Achtziger in meiner Schule das FDJ-Studienjahr leitete, nutzte das »Manifest« für ihre Agitation. Sie schlug die Seite auf, zeigte auf die dick mit Bleistift angestrichene Passage und sagte: »Dann war Ruhe im Ka r ton! Weeßte ja, wie Opa dit immer jemacht hat.«
    Doch der hatte sich vor allem Gedanken gemacht: Aber wie ist das mit Marx? Hat er Blödsinn geschri e ben, der uns in die Irre leitet? Was hat er geschrieben? War mir jemals ein Buch in die Hände g e kommen, das sich mit der Not des Menschen, des einfachen, arbeitenden Menschen befaßt? Sei eh r lich, Bursche! Stand so was bei Kant? Habe ich in seiner Kritik der reinen Ve r nunft so was gelesen? Oder bei Nietzsche?

 
    Die kleinste Zelle
     
    An der Wand im Wohnzimmer hing ein von Gustav handgeschriebener Goeth e spruch:
     
    »Die Ehe ist der Anfang
    Und der Gipfel aller Ku l tur.
    Unauflöslich muß sie sein
    Denn sie bringt so vieles Glück,
    Daß alles einzelne U n glück,
    Dagegen gar nicht zu rechnen ist.«
    J. W. v. Goethe
     
    So weit, so gut. Aber auch das schnörkelige, mit einer Rose ve r zierte große D am Anfang des Sechszeilers änderte nichts daran, daß Großmutter eine dumme Gans war. Es ging schon beim Frühstück los, das wir alle drei in Großvaters selbstg e schnitzter Ba u ernküche einnahmen. »Quatsch nicht dämlich!« schnarrte Gustav mit halbvollem Mund, wenn Wilma, bereits am Morgen gut gelaunt, irgendwe l chen Dorftratsch erzählte. »Der Küttner soll sich ja«, sagte sie und grinste, »ne u lich beim Grillen die Eier versengt haben, weil der kein Schlüpper anha t te unter seiner Turnhose. Und da is ihm, als er das Bier auf die Würste gekippt hat, die Stic h flamme in die Buchse gefahren wie der Deibel!« Sie machte mit der flachen Hand eine steile Bewegung nach oben und pfiff durch die Zähne. Ich konnte mir Herrn Küttner gut vorstellen, wie er wi n selnd die Hand in den Schritt klemmte und die Lippen vor Schmerz

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