Drei Irre Unterm Flachdach
Hundesteuer zu zahlen, und schrieb an den Magistrat von Berlin, A b teilung Steuern, Finanzen. Wenn Mops als Wachhund durchging, hatte sich die Steuer erledigt. Der Antrag wurde zweimal abgelehnt. Die Bedingungen für die Ane r kennung waren nicht erfüllt. »... da die Entfernung Ihres Hauses von b e wohnten Gebäuden mehr als zweihundert Meter betragen muß. Wir bitten Sie daher, die Hundesteuerzahlungen zu den mitgeteilten Fälligkeitsterminen zu leisten.« Abg e sehen von den Metern, Mops als Wachhund, das wäre einfach lächerlich g e wesen. Aber darum ging es schließlich nicht.
Sonntags badeten wir alle drei im selben Badewasser. Erst Großvater, dann Großmutter, zuletzt ich. Spätestens wenn Gro ß mutter gebadet hatte, war das Wasser schmutzig, denn sie schleppte den halben Garten mit in die Wanne. A u ßerdem war es fast kalt. Ich hatte keine Lust, in der lauwarmen Dreckbrühe zu liegen, und mußte ewig betteln, bis Großvater mir erlaubte, heißes Wasser z u laufen zu lassen. Irgendwann hatte ich durchgesetzt, als erste baden zu dürfen. Nun mußte Großmutter um heißes Wasser betteln. Leider konnte man das Wasser auch nicht heimlich zulaufen lassen, denn das Anspringen des Warmwasserbo i lers war im ganzen Haus zu hören. Manchmal versuchte Großmutter es trot z dem und drehte vorsichtig den Hahn auf. Doch das fun k tionierte nicht. Durch den lauten Knall beim A n springen der Gasflamme aufgeschreckt, schrie Großvater aus seinem Fernsehsessel rüber ins Bad: »Drehsofort zu! Sonst komme ich und lasse das Wasser aus der Wanne!«
Er selber genehmigte sich heißes Wasser nach Belieben. Einmal zog ich aus Rache hinter seinem Rücken den Stöpsel raus und tat, als wäre es versehentlich passiert. Großvater regte sich so sehr auf, daß ich dachte, er krepiere in der Wanne. Sein Gesicht lief dunkelrot an, er schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trocknen. Aber mit zehn Jahren, Ende der Siebziger, in einem Badezimmer mit zwei Waschbecken, kam ich nicht auf die Idee, daß im KZ nicht viel war mit Baden. So alle vier Wochen im Durc h schnitt ging es zum Baden. Im Bad herrschte stets ein schreckliches Durcheinander. Einseifen. Brausen. Raus in den Umkleid e raum. Abtrocknen, anziehen. Das ging in einem Affentempo. Gestoßen, geschoben, geknufft, abgehetzt, rein und raus. Und doch einige her r liche Minuten, wenn das warme Wasser über den Körper rieselte.
Vor Großvaters Tod kam zwei Jahre lang ein Mann zu uns. G e gen ein kleines Entgelt hackte er das Holz für Ofen und Kamin. Der Mann fluchte laut während der Arbeit. Er war mir nicht geheuer. Einmal – ich lungerte mit Ziegen-Oskar am Gartentor rum – steuerte er direkt auf mich zu. »Du kannst deinem Großvater mal au s richten, daß er ab morgen seinen Scheiß alleine machen kann. Man schuftet sich hier halb tot, und was bekommt man dafür von diesem Geizhals, diesem lumpigen Scho t ten?« Mir fiel es nicht ein, aber Ziegen- Oskar feixte. »Watte dafür kriegst, du Penna? Is doch klar, ’nen Schottenrock!« Das Wort Schottenrock konnte er fehle r frei aussprechen.
Opium für das Volk
Großvaters Täschenposti l le, das »Kommunistische Manifest«, war ein besonders schönes Buch. Es war eine Ausgabe von 1945, erschienen im Verlag Neuer Weg. In den beigefarbenen Pap p einband waren die Köpfe von Marx und Engels g e prägt, so, wie ich es von Münzen kannte. Die Schrift war dezent in Silber geha l ten. Gustav blätterte oft in seinem »Manifest« und unterstrich mit Rotstift ve r schiedene Sätze. An manchen Stellen hatte er Notizen gemacht, und wenn wir Westbesuch hatten, trug er immer einige Passagen vor. Mitten in der ewig gle i chen Diskussion, welches System das bessere sei, stand er auf und holte das Buch aus dem Regal. »Mit der Entwicklung der großen Industrie wird also unter den Füßen der Bourgeoisie die Grundlage selbst hinweggezogen, worauf sie produziert und die Pr o dukte sich aneignet. Sie produziert vor allem ihren eignen Totengräber. Ihr Untergang und der Sieg des Proletariats sind gleich unvermeidlich!« Das saß! Großvater knallte das »M a nifest« zu und sah zufrieden in die Runde. »Na bitte, jetzt ist Ruhe im Saal!« Es vergingen Minuten, bis wieder ein Gespräch in Gang kam. Dann redete man nicht mehr über A r beitslosigkeit und Reisefreiheit, sondern über Tante Emmis neue Frisur, das Wetter und die Kinder.
Auch ich versuchte, im »Manifest« zu lesen: »... die moderne bürgerliche G e sellschaft ...
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