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Drei Irre Unterm Flachdach

Drei Irre Unterm Flachdach

Titel: Drei Irre Unterm Flachdach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastienne Voss
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oft hatte ich ihr dabei zugesehen. Wie streng Gustavs Püppchen war! »Achtung, und: Ains, zwai, drai, viiier!« Das »e« sprach sie wie ein »a«, wodurch das Zählen g e künstelt klang. »Streck das Bein, Susanne! Strecken, hab ich gesagt, die Kni e scheibe hoch!!! Herrgott noch mal, wer hat dir denn in die Kniekehlen getreten, daß da vorne jetzt solche Pestbeulen rausgucken!« Zu gerne hätte ich mitgetanzt und vorg e führt, wie man ein Bein richtig streckt. Ich hatte keine Pestbeulen! Aber ich dur f te nicht zum Ballett. Angeblich war ich nicht b e gabt genug. Eine Laufbahn als Gruppentänzerin – »da landest du in der zehnten Reihe« – sollte mir erspart bleiben. Nach Hause kam Mutter nur noch zum Schlafen.
    Inzwischen war ich zwölf und hatte keine Lust, in die Schule zu gehen. Es gab dort keinen Tanzunterricht, und alles andere außer Deutsch interessierte mich nicht. Eigentlich machte auch Sport Spaß, aber seitdem wir mit Eierhandgran a ten werfen mußten, war mir das Fach versaut. Ich hatte keine Kraft in den Han d gelenken, die Dinger fielen immer hinter mich, wenn ich zum Wurf ausholte.
    Großvaters Krankheit paßte mir gut in den Kram, ich wollte ihn pflegen. Sol l ten die andern mit Handgranaten werfen. Erst war Mutter nicht begei s tert, doch dann gefiel ihr die Idee. Sie stellte beim Direktor einen Antrag auf Freistellung vom Unterricht, aus dringenden familiären Gründen. Der Antrag wurde genehmigt. Ein halbes Jahr lang, bis zum Beginn der Somme r ferien, brauchte ich nicht in die Schule zu gehen. Toll!
    Im Bett liegt Großvaters Schatten. Unter der Decke lugt ein Schädel mit grauen Fusseln hervor, kleine glanzlose Augen bewegen sich suchend hin und her. Ein lebendiger Totenkopf, umspannt von fahler gelber Haut. Haut, so dünn wie Perg a mentpapier. Blaue Adern schimmern durch die transparente Hülle, Flü ß chen auf einer Landkarte gleich. Mein tägliches Pensum: Einflößen flüssiger Nahrung mit Hilfe einer Schn a beltasse, dreimal am Tag, Kräutertee oder Wasser. Einmal am Tag Verabreichen einer wa r men Mahlzeit, leicht verdaulich, nicht zu fest, vorzugsweise Brei. Bald beherrschte ich eine Menge Kochrezepte und konnte zwischen Eierspeisen, Gries, Graupen und Nudelsuppen, Kartoffelp ü ree und Reisgerichten problemlos variieren. Zum Kochen hinzu kamen Waschen, A n ziehen, Umbe t ten, Aufrichten, Hinlegen und Reden. Mit ihm zu sprechen war am schwersten. Was sollte ich den ganzen Tag erzählen? Wenn ich was sagte, was er nicht hören wollte – das konnte alles mögliche sein –, dann war er beleidigt und stierte vor sich hin wie ein Idiot. Niemals zeigte er ein Zeichen von Dankba r keit, dabei gab ich mir wirklich Mühe mit ihm. Alle zwei Stunden, auch nachts, wec h selte ich den am künstlichen Darmausgang hängenden Plastebeutel. Ich erledigte das schnell, denn die schrec k liche Prozedur sollte so beiläufig wie möglich erscheinen.
    Wenn er schlechte Laune hatte, aß er nichts. »Weg mit dem Schweinefraß!« schrie er und hieb mit der Handkante auf das Holztablett. Er konnte kaum noch aufstehen, aber die Kräfte für seine cholerischen Anfälle hatte er sich bewahrt. Sie lauerten wie Scharfschützen unter der Bettdecke, j e derzeit bereit zum Einsatz. Er fuchtelte mit den Armen wie ein bockiges Kind und faselte irres, zusammenhangloses Zeug. »Zerhackstücken alles! Band i ten hier! Und Karl, der alte Schuft, kommt auch nicht mehr! Dreckspack, ele n des!«
    Diesmal hatte der Griesbrei dran glauben müssen. Teppich, Schlafanzug, Bettzeug, alles war mit der klebrigen weißen Pampe beschmaddert. Ich versuchte mit Lappen und Bürste, die Breisp u ren zu beseitigen, doch am Ende war alles in den Teppich gerieben. Der Staubsauger war tabu, Großvater konnte das Mot o rengeräusch nicht ertragen. Das Bett mußte neu bezogen, der Schlafanzug g e wechselt werden, aber den bekleckerten Pyjama wollte er nicht hergeben. Er wurde panisch und schlug mir auf die Finger. »Weg da, du Kröte!« Wir zerrten beide an der Jacke rum, bis ich gewann.
    Ein Tyrann lag im Sterben. Ich näherte mich ihm wie ein Dompteur. Mit belanglosen Fragen versuchte ich, seinen Gemüt s zustand zu erkunden: »Findest du es nicht auch schön, daß heute die Sonne scheint?« Wenn er nicht antwortete und den Kopf we g drehte, gab ich ihm nichts zu essen. Er sollte erst seinen Bock überwinden. Manchmal dauerte das Stunden, aber ich blieb hart. Mußte er eben hungern. Ich hatte so schön gekocht und wollte nicht, daß das

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